Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. schädigende Einwirkung. chemisch-toxische Belastung. Nachweis im Vollbeweis. Beweislast. "Fume-Event" bei Verkehrsflügen der zivilen Luftfahrt. Beweiserleichterung oder Beweislastumkehr. Flugbegleiterin
Leitsatz (amtlich)
1. Das Auftreten eines Geruchs (sogenannter: "Fume-Event") bei Verkehrsflügen der zivilen Luftfahrt stellt für sich allein keine Einwirkung im Sinne des § 8 Abs 1 S 2 SGB 7 dar. Vielmehr ist zur Erfüllung des Tatbestandes eines Arbeitsunfalls eine mit diesem Geruch verbundene chemisch-toxische Belastung im Vollbeweis zu sichern.
2. Als anspruchsbegründende Tatsache trägt hierfür im Zweifelsfall der bzw die Versicherte die Beweislast.
3. Eine Beweiserleichterung oder Beweislastumkehr kommt bei Flügen mit vielen Besatzungsmitgliedern und mehreren hundert Passagieren höchstens dann in Betracht, wenn eine Vielzahl von Versicherten oder Passagieren in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Flug erkrankt.
Orientierungssatz
Az beim LSG Darmstadt: L 3 U 66/19.
Nachgehend
Tenor
1) Die Klage wird abgewiesen.
2) Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin, Flugbegleiterin bei der C. AG, begehrt die Anerkennung eines sogenannten „Fume-Events“ als Arbeitsunfall, der im Jahr 2011 bei einem versicherten Flug zwischen C-Stadt und D-Stadt mit einem Airbus A 380 aufgetreten sein soll und zu Gesundheitsstörungen bei der Klägerin geführt habe.
Die 1979 geborene Klägerin war im Zeitpunkt des streitigen Ereignisses Flugbegleiterin bei der C. AG und in dieser Tätigkeit bei der Beklagten im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung versichert. Am 09.10.2011 war sie bei einem Direktflug von C-Stadt nach D-Stadt in einem Airbus A 380 der C. eingesetzt. Bei diesem Flug will sie zu Beginn des Fluges einen merkwürdigen Geruch verspürt haben. Sie meldete dies sofort dem Chefpiloten, der daraufhin per Funk Rücksprache mit der C-Basis hielt. Aus dieser Rücksprache ergab sich, dass ein Triebwerk zuvor gewartet und gereinigt worden war. Der Pilot stellte deshalb vorsorglich die Außenluftansaugung über dieses Triebwerk für einen Zeitraum von drei Stunden ab. Im Landeanflug will die Klägerin später wieder diesen Geruch wahrgenommen haben. Nach der Landung fand eine Besprechung der gesamten Crew statt, sämtliche Mitglieder der Besatzung wurden befragt und darauf hingewiesen, sich ggf. in Behandlung zu begeben. Die Klägerin selbst verspürte in D-Stadt zunächst keine größeren Belastungen. In hausärztliche Behandlung begab sie sich nach Durchführung des Rückflugs am 14.10.2011. Der Hausarzt soll dabei eine Krankmeldung erstellt haben, davon machte die Klägerin jedoch keinen Gebrauch, da sie einige Tage nicht arbeiten musste. Eine Unfallmeldung erstattete sie am 13.06.2012, die Beklagte leitete daraufhin ein Verwaltungsverfahren ein. Eine Strafanzeige stellte sie am 17.08.2014 über ihren für die Strafsache bevollmächtigten Anwalt, die Staatsanwaltschaft Köln leitete daraufhin ein Verfahren gegen Vorstandsmitglieder der C. AG ein.
Im Verwaltungsverfahren bezüglich des Arbeitsunfalls zog die Beklagte zahlreiche Krankenunterlagen teilweise selbst bei, teilweise wurden ihr diese von der Klägerin oder ihrer Mutter, die sie zeitweise im Verfahren vertrat, überlassen. Daraus ergab sich, dass die Klägerin bei zahlreichen schulmedizinischen und nichtschulmedizinisch orientierten Ärzten in Behandlung war. Im Gerichtsbezirk des Sozialgerichts Gießen waren dies insbesondere ihr Hausarzt Dr. E. und der Lungenfacharzt Dr. F., jeweils A-Stadt. Letzterer stellte in einem Arztbrief aus dem Mai 2012 fest, dass die bei der Klägerin gestellten Diagnosen wahrscheinlich nicht auf eine TCP-Exposition zurückzuführen seien. Insofern ist im Verfahren auch ein Brief der Universität Nebraska über einen positiven TCP-Test enthalten, der allerdings nicht mit dem Namen der dem Bluttest unterzogenen Probandin verbunden ist. Weiterhin finden sich bei diesen Unterlagen auch ärztliche Ausführungen des Dr. G., G-Stadt, bezogen auf die Klägerin. Wegen der äußerst zahlreichen Unterlagen wird ausdrücklich insoweit auf die Verwaltungsakte Bezug genommen. Die Beklagte hat daraufhin ihren Präventionsdienst mit der Erstellung einer Stellungnahme zu den fraglichen beruflichen Gefährdungen beauftragt (zunächst Stellungnahme vom 19.02.2013). Der Präventionsdienst ist insgesamt zu dem Ergebnis gekommen, eine berufliche Einwirkung sei nicht nachweisbar, es sei auch kein anderes Crew-Mitglied ernsthaft erkrankt. Letztlich wurden in das Verwaltungsverfahren noch ausführliche Stellungnahmen der Personalvertretung der C. AG und weiterer Organisationen zu den zu dieser Zeit schon allgemein bekannten „Fume-Events“ eingeführt.
Nach Auswertung sämtlicher Unterlagen und insbesondere unter Berücksichtigung der Ausführungen ihres Präventionsdienstes hat die Beklagte mit Bescheid vom 28. Mai 2013 die Anerkennung des Ereignis...