Entscheidungsstichwort (Thema)
Minderung des Arbeitslosengeld II. Rechtswidrigkeit der Sanktion. keine Vorlage der Rechtsfolgenbelehrung im Wortlaut beim Gericht. Beweislastentscheidung zu Lasten des Grundsicherungsträgers
Leitsatz (amtlich)
1. Die Festsetzung von Sanktionen nach § 31 Abs. 1 SGB II setzt voraus, dass ein Hilfebedürftiger über die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung konkret, verständlich, richtig und vollständig belehrt wurde.
2. Soweit das Gericht durch die Behörde nicht in die Lage versetzt wird, die Ordnungsgemäßheit der Rechtsfolgenbelehrung zu prüfen, geht dies zu Lasten der insoweit beweispflichtigen Behörde. Ihr obliegt es, durch ordnungsgemäße Aktenführung bzw. durch Organisation ihrer Dokumentenverwaltung ihren Nachweiserfordernissen nachzukommen.
Tenor
1. Der Bescheid vom 07. März 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2011 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Minderung seiner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum vom 1. April bis 30. Juni 2011 in Höhe von 96,90 EUR monatlich, d.h. insgesamt 290,70 EUR.
Der Kläger stand im Leistungsbezug des Beklagten nach dem SGB II. Mit Vermittlungsvorschlag vom 20. Januar 2011 wurde dem Kläger aufgegeben, sich bei der Firma D. zu bewerben.
Im Rahmen eines Gesprächs mit einem Mitarbeiter des Beklagten gab der Kläger am 27. Januar 2011 an, sich bei der Firma D. beworben zu haben.
Am 14. Februar 2011 teilte der Arbeitgeber dem Beklagten mit, dass sich der Kläger bei ihm nicht beworben habe.
Mit Schreiben vom 16. Februar 2011 wurde der Kläger daraufhin durch den Beklagten zu einer möglichen Sanktion aufgrund der fehlenden Bewerbung bei der Firma D. angehört. Mit Schreiben vom 8. März 2011 teilte der Kläger im Hinblick auf einen parallelen Vermittlungsvorschlag für eine Stelle im Bereich Trockenbau mit, dass er kein Trockenbauer sei und sich nicht für diese Arbeitsstelle bewerbe. Er sei gelernter Maler und Lackierer.
Mit Bescheid vom 7. März 2011 senkte der Beklagte die Regelleistung des Klägers für den Zeitraum vom 1. April bis 30. Juni 2011 um 30 % mit der Begründung, er habe sich auf einen Vermittlungsvorschlag vom 20. Januar 2011 bei der Firma D. trotz Rechtsfolgenbelehrung nicht beworben.
Hiergegen hat der Kläger am 28. März 2011 Widerspruch eingelegt, der mit Widerspruchsbescheid vom 17. Mai 2011 zurückgewiesen wurde. Gegen den Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 14. Juni 2011 Klage beim Sozialgericht Gießen erhoben.
Der Beklagte legte im Rahmen der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage hinsichtlich der Rechtsfolgenbelehrung zum streitigen Vermittlungsvorschlag vom 20. Januar 2011 die Rechtsfolgenbelehrung des parallelen Vermittlungsvorschlags bezüglich des Arbeitgebers R., bei dem der Kläger sich ebenfalls für die Berufsbezeichnung Trockenbaumonteur bewerben sollte, vor. Der Beklagte gab hierzu an, die Originalrechtsfolgenbelehrung des Vermittlungsvorschlags für die Firma D. könne heute nicht mehr reproduziert und vorgelegt werden, da die dortige Firma sich nicht mehr im Computersystem befinde, d.h. nicht mehr als Arbeitgeber gelistet sei. Deswegen könne im Rahmen der EDV nicht mehr auf diesen Bescheid bzw. die Rechtsfolgenbelehrung zugegriffen werden. Aus den beiden Vermittlungsvorschlägen an die Firma D. und an die parallele Firma R. ergebe sich allerdings, dass jeweils dieselbe Rechtsfolgenbelehrung verwendet und versandt worden sei. Insofern sei die Rechtsfolgenbelehrung für den Arbeitgeber R., die heute vorgelegt werden könne, aus Sicht des Beklagten die Gleiche wie auch bei dem streitigen Vermittlungsvorschlag für die Firma D.
Der Kläger ist im Wesentlichen der Auffassung, er habe einen wichtigen Grund gehabt, sich nicht bei der Firma D. zu bewerben. Er sei gelernter Maler und Lackierer und kein Trockenbaumonteur, wie von der Firma gesucht. Er verfüge über keine Kenntnisse im Trockenbau. Frühere Vermittlungsvorschläge für den Bereich Trockenbau hätten auch nicht zu einer Anstellung geführt. Zudem habe der Beklagte sein Ermessen nach § 31 Abs. 3 Satz 6 SGB II fehlerhaft ausgeübt.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 7. März 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2011 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist im Wesentlichen der Auffassung, der Kläger habe sich auf den Vermittlungsvorschlag vom 20. Januar 2011 bei der Firma D. nicht beworben und somit die Aufnahme einer zumutbaren Tätigkeit vereitelt. Einen wichtigen Grund hierfür habe der Kläger nicht gehabt, insbesondere sei es ihm mit seinen Vorkenntnissen zumutbar gewesen, sich auch auf Tätigkeiten als Trockenbauer zu bewerben. Die Rechtsfolgenbelehrung des Vermittlungsvorschlages für die Firma D. könne aus EDV-technischen Gründen heute nicht mehr rekonstruiert werden. Jedoch könne die im Wortlaut gleiche Rechtsfolgenbelehrung eines parallelen Vermit...