Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Unfallversicherungsschutz gem § 2 Abs 1 Nr 1 SGB 7. Beschäftigungsverhältnis. Eingliederung in die Arbeitsorganisation. Unterordnung in das Weisungsrecht des Arbeitgebers. Probearbeitsverhältnis. Handlungstendenz. zur Probe arbeitender Briefausträger auf Zustelltour. arbeitnehmerähnliche Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Abgrenzung einer Beschäftigung zur selbständigen Tätigkeit eines Briefzustellers.
2. Es ist am konkreten Einzelfall zu prüfen, was hinter den gewählten Bezeichnungen "Probearbeitsverhältnis", "Einfühlungsverhältnis" oder auch "Kurzpraktikum" bzw "Trainee" zu verstehen ist. Eine rechtliche Qualität haben diese Begriffe jedenfalls nicht.
3. Die Abgrenzung von selbstbestimmten eigenwirtschaftlichen bzw unternehmerähnlichen Tätigkeiten zu fremdbestimmten versicherten Tätigkeiten hat zusätzlich auch nach dem objektiv zurechenbaren wirtschaftlichen Wert einer Arbeitsleistung zu erfolgen.
Orientierungssatz
Selbst wenn man die Eingliederung in den Betrieb und die Weisungsabhängigkeit verneinen würde, läge nach den obigen Ausführungen jedenfalls Versicherungsschutz nach § 2 Abs 2 S 1 iVm Abs 1 Nr 1 SGB 7 als “Wie„-Beschäftigter vor.
Nachgehend
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 23. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Juni 2010 wird aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass das Ereignis vom 17. September 2009 ein Arbeitsunfall ist.
3. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Unfall des Klägers vom 17. Oktober 2009 ein Arbeitsunfall ist.
Der 1959 geborene Kläger war am 17. Oktober 2009 damit beschäftigt, für das Unternehmen T. GmbH Post auszutragen, als er gegen 11.30 Uhr von einem Hund angesprungen wurde und mit dem Postfahrrad wegrutschte. Hierbei zog er sich einen komplizierten Schienbeinkopfbruch zu.
Im Durchgangsarztbericht wurde angegeben, der Kläger sei als Briefzusteller beschäftigt. In der Unfallanzeige wurde der Kläger unter der Rubrik “Zum Unfallzeitpunkt beschäftigt/tätig als„ mit “Trainee„ von T. bezeichnet.
Die Ermittlungen der Beklagten ergaben unter anderem, dass der Kläger die Tätigkeit bei T. erst am 15. Oktober 2009 begonnen hatte und ein Arbeitsvertrag noch nicht geschlossen worden sei. Für die Tätigkeit hatte der Kläger von T. kein Entgelt erhalten. In einem weiteren Fragenbogen zur Entgeltfortzahlung gab T. an, es habe sich lediglich um ein “Kurzpraktikum„ und nicht um ein Beschäftigungsverhältnis gehandelt, daher werde keine Entgeltfortzahlung geleistet.
Der Kläger teilte der Beklagten mit, er habe sich selbst bei T. beworben und sollte vom 15. bis 17. Oktober 2009 als Postzusteller jeweils sechs Stunden täglich arbeiten. Am 22. Oktober 2009 hätte ein schriftlicher Arbeitsvertrag zwischen dem Kläger und T. unterschrieben werden sollen. Am Morgen des 17. Oktober 2009 habe er von Mitarbeitern der Firma T. zwei Posttaschen und ein Fahrrad bekommen und die Post nach den Weisungen der Mitarbeiter im zugewiesenen Bezirk austragen sollen, was er auch gemacht habe.
T. teilte weiter mit, bei Bewerbern auf eine Stelle als Briefzusteller werde entweder eine “Einfühlungsvereinbarung„ bei Initiativbewerbungen oder eine “Trainee-Vereinbarung„ bei Bewerbern über das Arbeitsamt geschlossen.
Ein Muster einer “Einfühlungsvereinbarung„, das nicht vom Kläger unterschrieben wurde, befindet sich in den Akten der Beklagten. Eine zu vergebende Stelle sei in Aussicht gestellt worden, eine Übernahme aus dem Probearbeitsverhältnis sei jedoch nicht zwingend.
Mit Bescheid vom 23. Februar 2010 lehnte die Beklagte Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit der Begründung ab, der Kläger habe keinen Arbeitsunfall erlitten, denn er sei keine versicherte Person in der gesetzlichen Unfallversicherung. Er sei in keinem Beschäftigungsverhältnis zu T. tätig geworden, denn zum Unfallzeitpunkt sei der Kläger noch im Bewerbungsverfahren gewesen. Es liege auch kein Versicherungsschutz als “Wie„-Beschäftigter vor, denn der Kläger sei aus eigenwirtschaftlichen Gründen bzw. mit eigenwirtschaftlicher Handlungstendenz tätig geworden und T. habe ihn nur testen wollen.
Der dagegen mit Schreiben vom 8. März 2010 eingelegte Widerspruch des Klägers wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 2010 zurückgewiesen. Der Kläger sei keine arbeiternehmerähnliche Person, denn die Erlangung eines Arbeitsplatzes sei eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit. Dies ergebe sich auch aus der Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen vom 25. Januar 2007 (Az.: L 14 U 70/05).
Am 30. Juni 2010 hat der Kläger Klage erhoben. Er trägt vor, er sei als Beschäftigter bzw. als “Wie„-Beschäftigter tätig geworden und habe mithin am 17. Oktober 2009 einen Arbeitsunfall erlitten.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 23. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10....