Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Hilfe zur angemessenen Schulbildung. sonderpädagogischer Förderbedarf. Zuweisung durch die Schulbehörde. Wahl zwischen 2 Sonderschulen. Mehrwert der integrativen Beschulung an der privaten Sonderschule. verfassungskonforme Auslegung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Sozialhilfeträger ist an die Zuweisung des schulpflichtigen Kindes durch den Schulträger an eine bestimmte Schule oder Schulart gebunden, da es Aufgabe der Schulbehörde ist, zu prüfen, in welchem Umfang eine bestimmte, nach den Regelungen des Schulrechts vorgesehene Beschulung den geistigen und körperlichen Fähigkeiten des behinderten Kindes entspricht.
2. Wird den Eltern nach Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs durch die Schulbehörde die Wahl zwischen einer Beschulung an einer integrativ unterrichtenden Regel(Grund)schule oder an einer öffentlichen Sonderschule gelassen, so genügen aus schulrechtlicher Sicht beide Schularten den Anforderungen an eine angemessene Schulbildung iS des § 54 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 12 (vgl BVerwG vom 26.10.2007 - 5 C 35/06 = BVerwGE 130, 1 = Behindertenrecht 2008, 114). Lässt die Schulbehörde keine Wahl zwischen den Schularten (Grund-/Regelschule einerseits und Sonderschule andererseits), aber zwischen zwei Sonderschulen, mithin zwischen den Lernorten, dies unter Abweichung der Pflicht zum Besuch der Sonderschule im Schulbezirk des Wohnortes (§ 84 Abs 1 S 2, § 76 Abs 2 S 3 SchulG BW), gibt sie zu erkennen, dass das schulpflichtige Kind an beiden Schulen seiner Schulpflicht genügt und diese ihm eine angemessene Schulbildung bieten.
3. Entscheiden sich die Eltern des schulpflichtigen Kindes bei der ihnen überlassenen Wahl zwischen der öffentlichen Sonderschule und einer privaten, mit einer Regelgrundschule organisatorisch verbundenen Sonderschule, für letztere, da sie dort auf Grund einer inklusiven Beschulung von behinderten und nichtbehinderten Kindern eine größere Teilhabemöglichkeit ihres Kindes sehen, hat der Sozialhilfeträger das Schulgeld für den Besuch der privaten Sonderschule auch dann zu übernehmen, wenn der Besuch der öffentlichen Sonderschule für ihn mit keinen Kosten verbunden wäre. Dieser "integrative Mehrwert" ist im Rahmen der angemessenen Schulbildung und im Lichte der Art 2 Abs 1, 6 Abs 2 und Abs 3, 3 Abs 3 S 2 GG zu berücksichtigen.
Tenor
1. Der Bescheid vom 27. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. November 2007 wird teilweise aufgehoben.
Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten für den Besuch der T.-Schulein S. ab 10. September 2007 in Höhe von kalendertäglich 13,62 €, ab 1. Januar 2009 in Höhe von kalendertäglich 14,46 €, ab 1. Januar 2010 in Höhe von kalendertäglich 14,14 € und ab 1. Juni 2010 in Höhe von kalendertäglich 14,40 € zu gewähren.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Der Beklagte trägt 8/10 der außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Eingliederungshilfe in Form der Kostenübernahme für den Besuch einer privaten Sonderschule für Geistig- und teilweise Körperbehinderte in Trägerschaft der D. e.V. (“T.-Schule„) in S..
Der 1997 geborene Kläger ist schwerst mehrfach körperlich und geistig behindert. Er leidet seit seiner Geburt an einem genetisch bedingten kongenitalen Hydrozephalus internus, einer spastischen Bewegungsstörung (bein- und rechtsbetonte spastische Tetraparese) und einer symptomatischen Epilepsie. Bei ihm liegen Verhaltensauffälligkeiten mit autistischen Mustern vor (vgl. Befundbericht Dr. O. vom 17. Januar 2008 und 24. Juni 2008). Bei dem Kläger ist ein Grad der Behinderung von 100 mit den Merkzeichen G, aG und H und Pflegestufe III anerkannt. Er ist auf einen Rollstuhl angewiesen.
Die Eltern des Klägers sind Mitglieder der evangelisch-freikirchlichen Gemeinde International Baptist Church.
Der Kläger besuchte in den Jahren 2001 bis 2004 einen Schulkindergarten für Körperbehinderte.
Am 21. April 2004 berichtete die Direktorin der A.-Schule in M., Frau L., gegenüber dem Schulamt L. von einer Vorstellung der Eltern des Klägers und deren Antrag auf dessen Aufnahme. Sie schlug die Feststellung der Sonderschulbedürftigkeit im Sinne der Schule für Körperbehinderte vor, wobei der Kläger nach dem Bildungsplan der Schule für Geistigbehinderte unterrichtet werden solle.
Die A.-Schule ist eine Ganztags- und Sonderschule in öffentlicher Trägerschaft des Landkreises L. Sie nimmt Kinder mit körperlichen Behinderungen und motorischen Beeinträchtigungen auf, die aufgrund ihrer Behinderung eine besondere sonderpädagogische Förderung benötigen und sie wird aus öffentlichen Mitteln gefördert. Unterricht und Förderung werden durch ein Team von Sonderschullehrer/-innen, Fachlehrer/-innen mit sonderpädagogischer Zusatzausbildung, Fachlehrer/-innen mit Ausbildung in Physio- oder Ergotherapie, sowie von Unterrichtshelfer/innen gestaltet.
Mit Bescheid vom 7. Mai 2004 stellte das staatliche Schulamt L. die Schulpflicht im Sinne der Schule für...