Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Hilfe zur Pflege. Überleitungsanzeige. sozialgerichtliche Prüfung des Bestehens des übergeleiteten Anspruchs. Rechtmäßigkeit der Überleitungsanzeige. Selbsthilfe. Grenzen der Überleitung. Verjährung und Verwirkung

 

Orientierungssatz

1. Im Rahmen der Anfechtungsklage gegen eine nach § 93 Abs 1 SGB 12 angezeigte Überleitung vertraglicher Ansprüche prüft das Sozialgericht das Bestehen des überzuleitenden Anspruchs nur insoweit, ob nach objektivem materiellen Recht ein Anspruch von vornherein ausgeschlossen erscheint.

2. Das Bestehen oder die Fälligkeit eines Anspruchs ist nicht Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Überleitungsanzeige. Ausreichend ist, dass das Bestehen eines Anspruchs aus dem konkreten Lebenssachverhalt heraus möglich sein könnte.

3. Zur Selbsthilfe gem § 2 Abs 1 SGB 12 gehört auch die Geltendmachung von Ansprüchen.

4. Von einer Überleitung kann abgesehen werden, wenn ein Drittschuldner einen Hilfeempfänger vor Eintritt der Sozialhilfebedürftigkeit weit über das Maß der ihn treffenden persönlichen Verpflichtung hinaus gepflegt und den Sozialhilfeträger dadurch bereits im Vorfeld der Heimaufnahme erheblich entlastet hat, wenn infolge der Anspruchsüberleitung eine nachhaltige Störung des Familienfriedens zu befürchten wäre oder schließlich der Grundsatz der familiengerechten Hilfe verletzt würde (vgl BVerwG vom 27.5.1993 - 5 C 7/91 = BVerwGE 92, 281 zum BSHG).

5. Grenzen für das Recht der Überleitung sind insoweit lediglich durch Verjährung und Verwirkung gesetzt.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen eine Überleitungsanzeige des Beklagten.

Die Klägerin ist Eigentümerin des Hausgrundstücks … das ihr von ihrem Vater im Wege des vorzeitigen Erbausgleichs durch notariellen Übergabevertrag vom 05.10.1990 übertragen wurde. Dieser Vertrag räumte ihrem Vater und dessen Ehefrau ein lebenslanges unentgeltliches Wohnrecht, dessen Ausübung dritten Personen nicht überlassen werden dürfe, an der im Erdgeschoss gelegenen Wohnung, bestehend aus 2 Zimmern, Küche und Toilette sowie an einem Schlafraum in der 1. Etage des Hauses (insgesamt ca. 80 qm) ein.

Bis zu seinem Tode im Jahre 2001 übte der Vater der Klägerin mit Frau S. das Wohnrecht aus, danach lebte letztere bis zum 31.08.2004 dort allein. Am 01.09.2004 verzog Frau S. in ein Altenheim nach Göttingen. Für die dortige Unterkunft und Betreuung erhält sie vom Beklagten laufende Hilfe zu Pflege (zunächst nach § 68 BSHG, seit dem 01.01.2005 nach § 61 SGB XII) in Höhe von monatlich ca. 800,00 EUR.

Seit ihrem Auszug nutzen die Klägerin und ihr Ehemann die mit dem Wohnrecht belegten Räume für sich.

Mit Bescheid (Überleitungsanzeige) vom 05.10.2006 leitete der Beklagte gem. § 93 SGB XII Ansprüche der Frau S. gegen die Klägerin aus ungerechtfertigter Bereicherung wegen der rechtsgrundlosen Nutzung der Räume aus § 812 Abs. 1 BGB bis zu einem Betrag von monatlich 210,00 EUR, dem vom Beklagten angenommenen Mietwert der Räume, auf sich über. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 31.10.2006 zurückgewiesen.

Die Klägerin hat am 17.11.2006 Klage erhoben. Sie hält das Bestehen von Bereicherungsansprüchen für ausgeschlossen. Frau S. sei aus freien Stücken ausgezogen und könne jederzeit die Zimmer wieder nutzen, wenn sie wolle. Einen wirtschaftlichen Vorteil habe die Klägerin von den Räumen nicht, ihre Vermietung an Dritte sei unrealistisch, da die meisten der mit dem Wohnrecht belegten Räume Durchgangszimmer seien und auch von ihr, ihrem Sohn und ihrem Mann betreten werden müssten. Der vom Beklagten angenommene fiktive Mietzins von 210,00 EUR sei deshalb unrealistisch hoch. Bereicherungsansprüche seien hiernach von vornherein ausgeschlossen, weshalb das Amtsgericht Osterode im vom Beklagten gegen die Klägerin angestrengten zivilrechtlichen Verfahren (2 C 141/07) auch die Klage als unschlüssig angesehen habe.

Die Klägerin beantragt ,

den Bescheid des Beklagten vom 05.10.2006 und seinen Widerspruchsbescheid vom 31.10.2006 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er tritt der Klage entgegen und verteidigt die angefochtenen Bescheide. Ein Fall der sog. “Negativevidenz„ sei nicht gegeben, weil das Vorliegen eines Bereicherungsanspruchs nicht von vornherein ausgeschlossen sei. Über seine Höhe habe das Amtsgericht zu entscheiden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens, die Gerichtsakte 2 C 141/07 des Amtsgerichts Osterode am Harz sowie auf den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen; diese Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

 

Entscheidungsgründe

Die Beteiligten sind im zu einer Entscheidung der Streitsache durch Gerichtsbescheid gem. § 105 SGG angehört worden und haben hierzu ihr Einverständnis erteilt.

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.

Hat ein Sozialhilfeempfänger für die Zeit, für die ihm Hilfe zur Pfleg...

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