Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. fiktives Einkommen. Nichtvorliegen bereiter Mittel allein wegen der Möglichkeit der Rentenbeantragung
Leitsatz (amtlich)
Die Berücksichtigung fiktiven Einkommens - hierzu gehört auch der Verweis auf eine mögliche Rentenantragstellung - verstößt gegen den Bedarfsdeckungsgrundsatz.
Orientierungssatz
Der Grundsicherungsträger ist insofern auf die Verfahren gem §§ 12a, 3 Abs 5 SGB 2 bzw §§ 60, 66 SGB 1 zu verweisen.
Tenor
1. Der Bescheid des Beklagten vom 28.02.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2012 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld II (Alg II) aufgrund einer unterlassenen Antragstellung bzw. Mitwirkungshandlung des Klägers bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) im Streit.
Der ... 1982 geborene, erwerbs- und vermögenslose Kläger befand sich im laufenden Leistungsbezug nach dem SGB II bei dem Beklagten, zuletzt aufgrund Bewilligungsbescheid vom 30.06.2011 für die Zeit vom 01.07.2011 bis zum 31.12.2011, in Höhe monatlicher Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von 364,00 Euro. Der Beklagte erhielt hierbei ein ärztliches Gutachten von Mai 2011 zur Kenntnis, wonach die Leistungsfähigkeit des Klägers für länger als sechs Monate, jedoch nicht auf Dauer, aufgehoben sei. Mit E-Mail vom 12.07.2011 erkundigte sich der Beklagte daraufhin bei der DRV, ob die Rentenanwartschaftszeit erfüllt sei. Am 14.07.2011 erhielt der Beklagte die Nachricht, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung derzeit erfüllt seien.
Mit Schreiben vom 19.07.2011 wurde der Kläger daraufhin gemäß § 12a Satz 1 SGB II aufgefordert, als vorrangige Sozialleistung eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bei der DRV zu beantragen.
Die DRV beantragte mit Schreiben vom 05.09.2011 wiederum bei dem Beklagten eine Auskunft über den Alg II-Bezug zum Abschluss des bei ihr anhängigen Verfahrens. Der Beklagte teilte der DRV am 09.09.2011 mit, dass Leistungen nach dem SGB II gewährt würden, und machte insoweit einen Erstattungsanspruch gem. § 5 SGB II in Verbindung mit §§ 103 f. SGB X geltend.
Am 14.11.2011 teilte die DRV dem Beklagten mit, dass der Rentenantrag abgelehnt worden sei, da der Kläger seiner gesetzlichen Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei.
Mit Bescheid vom 22.11.2011 entzog der Beklagte dem Kläger daraufhin die Leistungen ab dem 01.12.2011 mit dieser Begründung die Bewilligung von Arbeitslosengeld II unter Hinweis auf die §§ 60 und 66 SGB I. Zur Ausübung des Ermessens wurde darauf hingewiesen, dass der Beklagte zu wirtschaftlichem Handeln verpflichtet sei und auch im Interesse der Gemeinschaft der Steuerzahler nur bei nachgewiesener Hilfebedürftigkeit und in rechtmäßiger Höhe Leistungen erbringen könne.
Der Kläger wies mit seinem Widerspruch vom 23.12.2011 darauf hin, dass er aufforderungsgemäß einen Rentenantrag bei der DRV gestellt habe und erst anschließend eine Frist versäumt habe, weil ein Schreiben der DRV vom 05.10.2011 ihm erst 10 Tage später zugestellt worden und eine Antwort in der Frist damit nicht mehr möglich gewesen sei, zumal er krank gewesen sei. Zwischenzeitlich habe die DRV jedoch alle angeforderten Unterlagen erhalten. Schließlich fehle es auch an den Voraussetzungen einer vorherigen Anhörung und eines Hinweises gem. § 66 Abs. 3 SGB I.
Mit Bescheid vom 28.12.2011 wurde dem Widerspruch des Klägers daraufhin stattgegeben und der angegriffene Bescheid aufgehoben.
Mit weiterem Bescheid vom 30.12.2011 wurde auf den Fortbewilligungsantrag des Klägers Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 01.01.2012 bis zum 30.06.2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlichen 374,00 Euro bewilligt.
Am 04.01.2012 teilte die DRV dem Beklagten erneut mit, dass der Kläger seinen Mitwirkungspflichten bislang nicht nachgekommen sei. Dem Kläger sei mit Schreiben vom 05.10.2011 dargelegt worden, dass ein Bedarf für eine Reha-Maßnahme bestehe. Die Zustimmungserklärung zur Durchführung des Heilverfahrens sei trotz Erinnerung vom 28.10.2011 nicht zugesandt worden, weswegen der Rentenantrag am 10.11.2011 wegen fehlender Mitwirkung abgelehnt worden sei. Der Kläger habe mitgeteilt, dass er die vorgeschlagene medizinische Rehabilitation in G. wegen der Entfernung von über 200 km nicht durchführen könne. Daraufhin sei ihm mit Schreiben vom 29.12.2011 mitgeteilt worden, dass für die Durchführung des Heilverfahrens auch eine Klinik in der näheren Umgebung (...) in Frage komme; dem Kläger sei eine 2-wöchige Frist zur Abgabe der Zustimmungserklärung gegeben worden.
Mit weiterem Bescheid vom 09.01.2012 wurden dem Kläger für die Zeit vom 01.02.2012 bis zum 30.06.2012 insgesamt monatliche Leistungen von 720,00 Euro (Regelbedarf 374,00 Euro und Kosten der Unterkunft 346,00 Euro) bewilligt.
Der Kläger übersandte in der Folgezeit seine Zusti...