Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss wegen Aufenthalts in einer stationären Einrichtung. Maßregelvollzug. Vollzugslockerung. ambulant betreutes Wohnen. Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung
Leitsatz (amtlich)
Die formale Fortdauer eines gerichtlich angeordneten Maßregelvollzugs steht einem Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nach einem Umzug des Hilfebedürftigen in eine betreute Wohngemeinschaft im Rahmen von Lockerungsmaßnahmen nicht entgegen (Abgrenzung zu SG Karlsruhe vom 20.6.2016 - S 15 AS 3265/15).
Tenor
Der Bescheid vom 23.3.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.4.2018 wird aufgehoben.
Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ab dem 1.3.2018 Leistungen zur Sicherheit des Lebensunterhalts in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab März 2018.
Der 1977 geborene Kläger wurde mit Urteil vom 29.01.2014 zu einer mehrjährigen Haftstrafe wegen bandenmäßig begangenen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt. Bis zum 26.11.2014 befand er sich in Haft in der Justizvollzugsanstalt H. Anschließend erfolgte ein Maßregelvollzug gemäß § 62 StGB in der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie des Zentrums für Psychiatrie (ZfP) C. Ab dem 06.06.2017 begann eine sogenannte extramurale Belastungserprobung entsprechend Stufe 7 des siebenstufigen Lockerungsplans. Der Kläger wurde in dieser sog. Adaptionsphase im Lebenszentrum E. zur medizinischen Rehabilitation aufgenommen. Einen am 20.06.2017 gestellten Antrag des Klägers auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II lehnte der Beklagte unter Hinweis auf § 7 Abs. 4 SGB II wegen Unterbringung in einer stationären Einrichtung mit Bescheid vom 07.08.2017 und Widerspruchsbescheid vom 04.09.2017 ab. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
Am 1.3.2018 beantragte der Kläger erneut die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Zum 01.03.2018 zog der Kläger um. Er bezog ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft in N. Laut vorgelegter Bescheinigung des Lebenszentrums E. vom 22.2.2018 handelte es sich hierbei um ambulant betreutes Wohnen. Laut ebenfalls vorgelegtem Aufnahme- und Nutzungsvertrag betrug das monatliche Entgelt für die Gebrauchsüberlassung eines möblierten Wohnraums zur Alleinbenutzung sowie zur Mitbenutzung Küche, Bad/WC, Nebenräume 175, - € zuzüglich pauschalierte Nebenkosten (einschließlich Heizung und Wasser) von 110,-- €, zusammen 285,-- €.
Mit Schreiben vom 06.03.2018 bestätigte die Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, dass im Rahmen der Behandlung im Maßregelvollzug zur Vorbereitung auf die Entlassung als höchste Stufe der Lockerungen die sogenannte externe Belastungserprobung praktiziert werde. Der Kläger lebe außerhalb der Einrichtung und müsse nur noch einzelne Termine im Maßregelvollzug wahrnehmen (in der Regel halbjährlich ein Termin). Ergänzend legte der Kläger einen Arbeitsvertrag mit dem Diakonieverbund D. e.V. vor, wonach er ab dem 01.02.2018 befristet bis zum 15.08.2018 als Arbeiter eingestellt wurde. Die Entlohnung sollte brutto 8,85 € je Stunde plus pauschal monatlich 50,-- € bei einer Wochenarbeitszeit von 42 % von 38,5 Stunden betragen. Laut § 1 des Arbeitsvertrages sei Zielsetzung des Arbeitsverhältnisses, dem Arbeitnehmer/der Arbeitnehmerin im Rahmen einer sozialintegrativen Maßnahme den Anschluss an die Arbeitswelt zu ermöglichen. Durch persönliche Beratung und Betreuung sollten seine Möglichkeiten, wieder einen Platz im Arbeitsleben zu finden, verbessert werden. Er sei deshalb nicht Mitarbeiter im Sinne des Mitarbeitervertretungsgesetzes, da die Arbeit vorwiegend der beruflichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt diene.
Mit Bescheid vom 23.03.2018 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, weil er sich nach den vorliegenden Unterlagen in einem richterlich angeordneten Maßregelvollzug befinde. Auch Freigängerinnen und Freigänger und Inhaftierte, denen Vollzugslockerungen zum Zwecke der Arbeitssuche bzw. Arbeitsaufnahme eingeräumt seien, seien von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Dies gelte auch dann, wenn sie tatsächlich eine mindestens 15 Wochenstunden umfassende Beschäftigung ausübten.
Hiergegen erhob der Kläger am 08.04.2018 Widerspruch. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13.04.2018 zurück.
Deswegen hat der Kläger am 30.04.2018 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Zur Begründung trägt er vor, dass er nicht mehr in einer stationären Einrichtung untergebracht sei und seit dem 01.02.2018 einer tatsächlichen Erwerbstätigkeit von mehr als 15 Stunden wöchentlich nachgehe. Die Einrichtung habe nicht mehr die Gesamtverantwortung für seine tägliche Lebensführ...