Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Kostenerstattungsanspruch gegen den Erben. Anwendung altes oder neues Recht. Freibetrag. Selbständige Kostenersatzpflicht
Leitsatz (amtlich)
1. Der Kostenerstattungsanspruch aus § 102 SGB XII umfasst auch Hilfeleistungen, die noch unter der Geltung des BSHG erbracht worden sind.
2. Der Kostenerstattungsanspruch gegen den Erben setzt nicht voraus, dass ein solcher bereits gegen den Hilfeempfänger selbst bestand. Vielmehr handelt es sich um eine selbständige Kostenersatzpflicht des Erben im Sinne einer Erbfallschuld.
3. Der Freibetrag nach § 102 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 85 Abs. 1 SGB XII berechnet sich unter Berücksichtigung des im Zeitpunkt des Erbfalls maßgebenden Regelsatzes.
4. Bei mehreren Erben ist der Freibetrag nur einmal vom Nachlassvermögen abzusetzen.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits als Gesamtschuldner.
Der Streitwert wird - endgültig - auf 10.952,42 € festgesetzt.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob die Kläger dem Beklagten zum Ersatz von Aufwendungen der Sozialhilfe verpflichtet sind.
Der 1948 geborene Kläger ist der Bruder, die 1952 geborene Klägerin die Schwester der 1944 geborenen und zwischen dem 15. und dem 16.01.2008 verstorbenen ... (Hilfeempfängerin) und zu je 1/2 Erbe auf Ableben der Hilfeempfängerin (vgl. gemeinschaftlicher Erbschein des Notariats - Nachlassgericht - ... vom 25.02.2008 - 1 NG 13/2008).
Der vormalige Landeswohlfahrtsverband Baden gewährte der Hilfeempfängerin ab dem 01.07.2003 bis zum 31.12.2004 Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach den Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) in Form einer Kostenpauschale für betreutes Wohnen (Bescheid vom 25.08.2003). Aufgrund des Verwaltungsstruktur-Reformgesetzes vom 01.07.2004 (GBl. S. 469) wurde der Landeswohlfahrtsverband mit Ablauf des 31.12.2004 aufgelöst. Ab dem 01.01.2005 trat der zuständige örtliche Träger der Sozialhilfe als Rechtsnachfolger in die Rechte und Pflichten des Landeswohlfahrtsverbandes ein (Art. 177 § 12 Abs. 1 Satz 1 VRG). Der Beklagte bewilligte deshalb nach dem Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII) ab dem 01.01.2005 bis zum 31.12.2005 der Hilfeempfängerin ebenfalls Eingliederungshilfe für behinderte Menschen in Form einer Betreuungspauschale für betreutes Wohnen (Bescheide vom 11.04. und 24.05.2005). Die Gesamtaufwendungen für den Zeitraum Juli 2003 bis Dezember 2005 betrugen 13.034,43 €.
Gegenüber dem Nachlassgericht gaben die Kläger die Nachlassmasse wie folgt an:
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- Eigentumswohnung im Anwesen im Fuchsloch 80, ..., Verkehrswert: 160.000,--€ |
- Haus- und Küchengeräte: 10.000,-- € |
- Pkw: 6.000,-- € |
- Bankguthaben: 50.000,-- € |
- Verbindlichkeiten (Beerdigungskosten): ca. 5.000,-- € |
Durch Bescheide vom 22.04.2008 forderte der Beklagte von den Klägern einen Kostenersatz für die von ihm bzw. seinem Rechtsvorgänger erbrachten Hilfeleistungen unter Abzug eines Freibetrages (2.082,00 €) in Höhe von jeweils 5.476,21 €: Seine Aufwendungen (13.034,43 €) überstiegen den 3-fachen Grundbetrag (2.082,00 €) und bei Weitem den Nachlasswert. Die Kläger seien deshalb entsprechend ihrem Erbanteil von 1/2 erstattungspflichtig.
Zur Begründung ihres dagegen erhobenen Widerspruchs trugen die Kläger im Wesentlichen vor, die Erbenhaftung setze einen entsprechenden Anspruch in der Person der Hilfeempfängerin voraus. Die Leistungsgewährung an die Hilfeempfängerin sei jedoch unabhängig von deren Einkommens- und Vermögensverhältnissen und ohne Kostenbeteiligung erfolgt. Die Hilfeempfängerin selbst sei deshalb nicht verpflichtet gewesen, Kosten der Hilfe ganz oder teilweise zu tragen oder zu erstatten. Hieran ändere sich durch den Eintritt des Erbfalls nichts. § 102 SGB XII, auf den der Beklagte seinen Anspruch stütze, sei eine Haftungsnorm; eine Haftung beziehe sich jedoch immer auf eine bestehende Schuld. Da die Hilfeempfängerin zu einer Kostenbeteiligung nicht verpflichtet war, gebe es auch keine Verbindlichkeiten, die im Rahmen der Haftung auf die Kläger als Erben übergegangen seien. Es handle sich im Anwendungsbereich des § 102 SGB XII um Ansprüche, die nicht originär gegenüber den Erben entstünden, sondern sich zu Lebzeiten des Betreuten gegen diesen gerichtet hätten und nach dessen Tod als Nachlassverbindlichkeit von diesem herrühre (Hinweis auf Bay. ObLG, NJW-RR 2005, 1315). Der Beklagte wies die Widersprüche zurück (Widerspruchsbescheide vom 10.02.2009).
Deswegen erhoben die Kläger am 10.03.2009 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe, mit dem sie ihre Begehren weiterverfolgen. Zur Begründung wiederholen sie im Wesentlichen ihr Widerspruchsvorbringen. Ergänzend verweise sie auf den Beschluss des OLG Stuttgart vom 29.06.2007 - 8 W 245/07 - (= NJW-RR 2007, 1593).
Die Kläger beantragen - teilweise sinngemäß -,
die Bescheide vom 22. April 2008 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 10. Februar 2009 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er erachtet die angefochtenen Bescheide für zutreffend.
Die Beteili...