Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht. Gewaltopfer. körperliche und sexuelle Misshandlungen in der Kindheit. Kinderheim. tätlicher Angriff. Konkretisierung der einzelnen Missbrauchshandlungen nicht erforderlich. GdS-Feststellung. schwere psychische Störung. mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten. Freizeitaktivitäten. berufliche Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
Hobbys wie Fußballschiedsrichtertätigkeit und gelegentliche Bühnentätigkeit widersprechen nicht generell der Annahme einer schweren Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten.
Orientierungssatz
1. Gleiches gilt für eine berufliche Tätigkeit, wenn diese weitestgehend freibestimmt ist und flexible Arbeitszeiten bestehen (hier ua Tätigkeit für eine Immobiliengesellschaft).
2. Für die Zuerkennung des Anspruchs auf Gewaltopferentschädigung (hier wegen schweren sexuellen und körperlichen Misshandlungen in der Kindheit in einem Kinderheim) ist es nicht erforderlich, dass die einzelnen Tathandlungen für das Gericht zeitlich oder der Art nach genau fixierbar sind. Es genügt, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass ein tätlicher Angriff stattgefunden hat.
Tenor
1. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 11. Juni 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Januar 2013 verurteilt, die Gesundheitsstörungen rezidivierende depressive Störung, andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung sowie somotoform autonomen Funktionsstörung als Schädigungsfolge nach dem OEG im Sinne der Entstehung anzuerkennen und ab 23. Mai 2011 eine Versorgung nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 50 zu gewähren.
2. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Der am ...1958 geborene Kläger stellte am 23. Mai 2011 einen Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung von Opfer von Gewalttaten beim LRA. Zur Begründung gab er an, von 1958 bis 1968 im Kinderheim P. untergebracht gewesen zu sein und über die ganzen Jahre hinweg schwer misshandelt und zudem sexuell missbraucht worden zu sein. Er habe noch heute an den Folgen zu leiden.
Das LRA zog Befundunterlagen der ...-klinik bei. Zudem erstatte die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S. auf Veranlassung des Landratsamts ein nervenärztliches Gutachten. Die Gutachterin diagnostizierte eine andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung ohne wesentliche Einschränkung der Lebens- und Gestaltungsfähigkeit und bewertete diese Funktionsbeeinträchtigung mit einem Einzel-GdS (Grad der Schädigung) von 20. Als Extrembelastung seien der Heimaufenthalt im Alter zwischen zwei und zwölf Jahren sowie der zusätzlich beschriebene sexuelle Missbrauch mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Die jetzt zu erkennende Persönlichkeitsveränderung lasse sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die erlebte Schädigung zurückführen. Zusätzlich diagnostizierte die Gutachterin eine rezidivierend depressive Störung in derzeit mittelgradiger Episode. Diese Funktionsbeeinträchtigungen seien nicht eindeutig durch die bestehende Schädigung zu erklären. Daneben diagnostizierte die Gutachterin noch ein Hodenseminom mit Zustand nach Entfernung des befallenen Hodens Chemotherapie im Jahr 1980, sowie eine Refluxösophagitis Grad A bei Hiatushernie mit Short-Segment-Barett-Ösophagus. Durch Bescheid vom 11. Juni 2012 lehnte das LRA den Antrag des Klägers ab. Zwar habe der Kläger während seiner Heimunterbringung weit über das damals geltende Erziehungsrecht hinaus schwere körperliche und seelische Züchtigungen ertragen und erdulden müssen. Auch sexuelle Missbräuche durch Mitbewohner und Erwachsene wurden beschrieben. Jedoch sei der Kläger nicht allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt (50 %).
Zur Begründung seines hiergegen am 06. Juli 2012 erhobenen Widerspruchs führte der Kläger aus, die depressive Störung, unter der er leide, sei auf das Geschehen des schweren sexuellen Missbrauchs in der Kindheit zurückzuführen. Nach den Ausführungen der Gutachterin könne diese nur nicht eindeutig erklären. Es liege aber im Bereich des Wahrscheinlichen.
Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2013 als unbegründet zurück. Die depressive Symptomatik in Konfliktsituationen, wie sie 1996 erstmals aufgetreten sei, sei nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die in der Kindheit erlittenen Übergriffe zurückzuführen.
Mit seiner am 22. Februar 2013 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Zur Begründung vertieft der Kläger sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 11. Juni 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Januar 2013 zu verpflichten, ihm Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz ab Antragstellung zu erbringen.
Der Beklagte beantragt,
die Kla...