Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufhebung bzw Rücknahme der Bewilligung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Rückforderung von für einen Zeitraum vor Insolvenzeröffnung zu Unrecht erbrachten Leistungen

 

Orientierungssatz

1. Ein Rentenversicherungsträger ist durch die Vorschriften der InsO nicht gehindert, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Leistungsbewilligung nach § 45 SGB 10 zu korrigieren. Dies gilt selbst dann, wenn die daraus entstehende Forderung als Insolvenzforderung anzusehen ist (Anschluss an LSG Halle vom 9.10.2014 - L 5 AS 673/13).

2. Ein Leistungsträger hat aber keine Befugnis, zur Durchsetzung einer Insolvenzforderung einen Verwaltungsakt zu erlassen, mit dem eine Forderung festgestellt oder eine Erstattung verlangt wird (vgl LSG Halle vom 9.10.2014 - L 5 AS 673/13, BVerwG vom 12.6.2003 - 3 C 21/02 = juris RdNr 16, BSG vom 17.5.2001 - B 12 KR 32/00 R = BSGE 88, 146 = SozR 3-2400 § 24 Nr 4, BFH vom 18.12.2002 - I R 33/01= BFHE 201, 392 sowie OVG Magdeburg vom 11.3.2003 - 1 M 268/02 = juris RdNr 17).

 

Tenor

Der Bescheid vom 6. April 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juli 2016 wird insoweit aufgehoben, als hierin die Erstattung der Überzahlung in Höhe von 17.529,60 Euro gefordert wird.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um eine Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung über eine Forderung in Höhe von 17.529,60 Euro.

Die Klägerin erhielt von der Beklagten ab dem 1. März 2005 - zunächst zeitlich befristet - eine Erwerbsminderungsrente. In ihrem Rentenantrag, den Weiterbewilligungsanträgen sowie auf weiteren Formularen (Bl. 74, Bl. 157, Bl. 215, Bl. 247, Bl. 287 der Akte der Beklagten) gab die Klägerin an, kein Beschäftigungsverhältnis zu haben bzw. keine selbständige Tätigkeit auszuüben.

Durch ein Schreiben der Polizeidirektion C-Stadt vom 5. Mai 2014 erhielt die Beklagte Kenntnis von einem laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren wegen Betrugsverdachts (Bl. 292 Beklagtenakte). Hintergrund war die Erzielung von Einkünften aus der Veräußerung von Reitsportartikeln trotz Bezugs der Erwerbsminderungsrente. Daraufhin nahm die Beklagte ihre Ermittlungen auf.

Zwischenzeitlich wurde über das Vermögen der Klägerin mit Beschluss vom 2. Juli 2014 das Privatinsolvenzverfahren eröffnet; der Insolvenzbeschluss wurde am 31. August 2015 aufgehoben. Die Wohlverhaltensperiode von 6 Jahren ist noch nicht abgelaufen (vom 2. Juli 2014 bis voraussichtlich Juli 2020).

Nach Abschluss des strafrechtlichen Verfahrens vor dem Amtsgericht Eschwege, bei der die Klägerin durch Strafbefehl zu 90 Tagessätzen à 15 € am 11. März 2015 verurteilt wurde, stellte die Beklagte eine Anfrage an das Finanzamt zu der konkreten Höhe der Einkünfte in den Jahren 2007-2014. Das Finanzamt teilte mit Eingang vom 1. Dezember 2015 die jeweiligen Einkünfte mit (vergleiche Bl. 345 der Akte der Beklagten). Die Höhe dieser Einkünfte ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten.

Daraufhin hörte die Beklagte die Klägerin unter dem 4. Januar 2016 zu der beabsichtigten Aufhebung der Bewilligungsbescheide nach § 45 SGB X für die Jahre Januar 2007 bis Dezember 2010 an. Der Insolvenzverwalter der Klägerin informierte die Beklagte mit Schreiben vom 21. Januar 2016 (Bl. 369 der Beklagtenakte), dass der Geltendmachung der Erstattungsforderung die Eröffnung des Insolvenzverfahrens entgegen stünde.

Am 6. April 2016 (Bl. 387/hier Bl. 412 der Beklagtenakte) erließ die Beklagte einen Neufeststellungsbescheid über die Rentenhöhe, verbunden mit der Aufhebung der Rentenbescheide vom 21. September 2006 (XXX1); vom 24. August 2007 (XXX2) sowie vom 28. Januar 2010 (XXX3) und der Aufforderung zur Erstattung des streitgegenständlichen Betrages.

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2016 (Bl. 441 der Beklagten Akte) hat die Klägerin am 9. August 2016 Klage beim Sozialgericht Kassel erhoben.

Die Klägerin verfolgt das Klagebegehren, den angegriffenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid aufzuheben, weiter und zwar insbesondere mit der Begründung, dass der Bescheid nichtig sei, weil er nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlassen wurde. Die Erstattungsforderung hätte von der Beklagten rechtzeitig zur Insolvenztabelle angemeldet werden müssen. Eine Geltendmachung außerhalb des Insolvenzverfahrens durch Bescheid sei nicht möglich gewesen.

Die Beklagte vertritt die Ansicht, dass der Bescheid rechtmäßig sei, insbesondere eine Aufrechnung nach § 51 Abs. 2 SGB I möglich wäre und es insoweit unschädlich sei, dass die Erstattungsforderung nicht zur Insolvenztabelle angemeldet worden sei.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 6. April 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juli 2016 insoweit aufzuheben, als der zugunsten der Klägerin ergangene Rentenbescheid vom 21. September 2006, betreffend die Monate Januar 2007 bis September 2007, der Re...

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