Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Frau. regelmäßiger Anspruch auf Echthaarperücke
Orientierungssatz
Eine Versicherte hat regelmäßig einen Anspruch gegen eine Krankenkasse auf Versorgung mit einer Echthaarperücke, da nur eine solche - im Gegensatz zu einer Kunsthaarperücke - eine Qualität aufweist, die den Verlust des natürlichen Haupthaares für einen unbefangenen Beobachter nicht sogleich erkennen lässt (vgl BSG vom 23.7.2002 - B 3 KR 66/01 R = SozR 3-2500 § 33 Nr 45 und BSG vom 22.4.2015 - B 3 KR 3/14 R = SozR 4-2500 § 33 Nr 45).
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 08.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.09.2015 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die Kosten für die selbstbeschaffte Echthaarperücke in Höhe von 1.385,00 € zu erstatten.
2. Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Erstattung der Kosten für die Beschaffung einer Echthaarperücke.
Die 1991 geborene Klägerin leidet unter Alopecia totalis . Nachdem ihr am 06.02.2014 vom Internisten H. eine Echthaarperücke verordnet worden war, bewilligte ihr die Beklagte einen Zuschuss für deren Beschaffung in Höhe von 300,00 €. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch, woraufhin ihr 590,00 € (600,00 € abzüglich Eigenanteil von 10,00 €) bewilligt wurden; den weitergehenden, auf Übernahme der vollen Beschaffungskosten gerichteten Widerspruch wies die Beklagte zurück. Im nachfolgenden Klageverfahren (S 5 KR 871/14 Sozialgericht - SG - Koblenz) wurde die Beklagte mit Urteil vom 01.10.2015 verurteilt, der Klägerin die Kosten für die erfolgte Versorgung mit der Echthaarperücke in Höhe von weiteren 795,00 € zu erstatten; dieses Urteil wurde durch Rechtsmittelverzicht der Beklagten rechtskräftig.
Am 06.03.2015 verordnete Internist H. der Klägerin erneut eine Echthaarperücke. Die Klägerin legte einen Kostenvoranschlag der Haarwerkstatt M. über einen Zahlbetrag von 1.385,00 € (Rechnungsbetrag 1.395,00 € abzüglich 10,00 € Zuzahlung) vor. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) Rheinland-Pfalz vertrat die Auffassung, die Tragedauer einer Echthaarperücke betrage 24 Monate. Mit Bescheid vom 08.04.2015 lehnte die Beklagte daraufhin den Antrag ab und führte zur Begründung aus, die Klägerin habe bereits am 06.02.2014 eine Echthaarperücke erhalten und sei somit ausreichend versorgt.
Hiergegen erhob die Klägerin mit der Begründung Widerspruch, durch §§ 27 Nr. 3, 32 ff. des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) werde dem Versicherten ein Anspruch auf Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln eingeräumt. Auch im Leistungsrecht der Gegenwart unterliege die von den Kassen im Einzelfall zu gewährende Sozialleistung nicht der eigenständigen Regelungsbefugnis von Verträgen zwischen Kassen und dritten Leistungserbringern, deren sich die Kasse im Einzelfall bediene. Ausgangspunkt der Betrachtung des Leistungsanspruchs sei § 11 Abs. 1 Nr. 4 SGB V, danach hätten Versicherte generell Anspruch auf Leistungen zur Behandlung von Krankheiten. Sei der Versicherungsfall “Krankheit„ eingetreten, umfasse die Krankenbehandlung gemäß § 27 SGB V auch die Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln, vorausgesetzt, dass sie notwendig seien, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Das gelieferte Hilfsmittel müsse als Leistung der Kasse ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein (§ 12 Abs. 1 SGB V). Bestehe ein Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, umfasse dieser ebenfalls die notwendige Änderung, Instandsetzung und Instandhaltung, Ersatzbeschaffung sowie die Ausbildung in ihrem Gebrauch (§ 33 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Für medizinischen Haarersatz gälten keine Vertrags- oder Festbeträge bzw. Kassenanteile oder gesetzliche Zuzahlungen. Das derzeit getragene Hilfsmittel sei mittlerweile aufgetragen, die völlige Ablehnung einer Folgeversorgung sei daher evident rechtswidrig.
Der MDK vertrat in einer gutachtlichen Stellungnahme vom 30.06.2015 die Auffassung, es liege keine Indikation für eine Wechselversorgung vor. Grundsätzlich bestehe keine medizinische Indikation für ein Haarersatzteil. Kunsthaarperücken seien über viele Jahre tragbar und Echthaarperücken seien keine begründbare Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.09.2015 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und führte im Wesentlichen aus, der MDK habe in seinem Gutachten begründet dargelegt, dass bei der Klägerin keine Indikation für eine neue Echthaarperücke bestehe.
Mit der am 06.11.2015 eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie wiederholt ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren, hat auf Aufforderung des Gerichts die Rechnung vom 15.04.2015 über Kosten für ihren Haarersatz in Höhe von 1.395,00 € vorgelegt und ergänzend vorgetragen, der aufgetragene Haarersatz sei leider nach der Neuversorgung entsorgt worden, da er nicht mehr brauchbar gew...