Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung. Berücksichtigung einer Ersatzzeit für Zeiträume der Kommandanturaufsicht in Kasachstan
Orientierungssatz
1. Die Zeit der russischen Kommandanturaufsicht ist stets als feindliche Maßnahme im Sinne von § 250 Abs. 1 Nr. 3 SGB 6 anzusehen, die sich gezielt gegen die deutsche Volksgruppe gerichtet hat und führt für Zeiten vor dem 1. Januar 1992, in denen Versicherungspflicht nicht bestanden hat und der Versicherte das 14. Lebensjahr vollendet hatte, zur Berücksichtigung als Ersatzzeit.
2. Für die Zeit nach der Entlassung aus der Kommandanturaufsicht liegt objektiv ein Festhalten i.S.v. § 250 Abs. 1 Nr. 3 SGB 6 vor, soweit in einem volksdeutschen Siedlungsgebiet der UdSSR geborene Volksdeutsche nach Kasachstan verschleppt und dort wegen des Verbots der Rückkehr in das Siedlungsgebiet bis zur Ausreise verblieben sind. Das allgemeine Ausreiseverbot in der UdSSR wirkte sich bei diesem Personenkreis derart aus, dass es sich ihnen gegenüber auch nach dem Jahr 1956 als feindliche Maßnahme darstellt.
3. Subjektive Voraussetzung für das Tatbestandsmerkmal des Festgehaltenwerdens ist das Bestehen eines ernsthaften Rückkehr- bzw. Ausreisewillens, der allein während der geltend gemachten Ersatzzeit bestanden haben muss. Bei damals minderjährigen Kindern ist hierbei auf den Rückkehrwillen der Eltern abzustellen. Denn Kinder teilen im Hinblick auf ihre völlige rechtliche und wirtschaftliche Abhängigkeit von den Eltern deren Schicksal.
4. Die Zuordnung zu den Entgeltpunkten Ost oder West nach Fremdrenten- und Auslandsrentenrecht hängt gemäß § Art. 6 § 4 Abs. 6 FANG vom gewöhnlichen Aufenthalt des Leistungsberechtigten zu den in der Vorschrift genannten Zeitpunkten (im Beitrittsgebiet oder im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne Beitrittsgebiet) ab. Ein nur vorübergehender Aufenthalt von weniger als sechs Monaten führt grundsätzlich nicht zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes. In einem solchen Fall bedarf es konkreter Anhaltspunkte, die einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen vermögen.
Nachgehend
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 23.01.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.07.2008 verurteilt, die Altersrente des Klägers ab dem 01.01.2000 unter Berücksichtigung von Entgeltpunkten West und einer Ersatzzeit vom 26.12.1953 bis 30.04.1954, 01.10.1954 bis 30.04.1955, 01.10.1955 bis 30.04.1956 sowie vom 01.10.1956 bis 31.12.1956 neu festzustellen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers für dieses Verfahren.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung einer Ersatzzeit im sogenannten Zugunstenweg nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) für Zeiträume, die der Kläger während und nach der russischen Kommandanturaufsicht in Kasachstan verbringen musste. Weiter besteht Streit darüber, ob die Beklagte die Altersrente des Klägers unter Berücksichtigung von Entgeltpunkten West statt Entgeltpunkten Ost neu festzustellen hat.
Der am XX.XX.XXXX geborene Kläger ist Volksdeutscher und wurde mit seiner Familie am 28.08.1941 nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion von Jagodnoje/Saratow nach Kamarovka/Koktschetav in Kasachstan verschleppt und bis zum 13.12.1955 unter Kommandanturaufsicht gestellt. Nach dem Ende der Kommandanturaufsicht blieb die Familie zwangsweise in Kasachstan. Im Jahr 1992 reiste der Bruder des Klägers in die Bundesrepublik Deutschland (BRD) ein und organisierte von dort die Ausreise für den Kläger und dessen Familie nach Westdeutschland. Statt in Düsseldorf, wo seine Verwandten ihn erwarteten, landete der Kläger mit seiner Ehefrau am 19.12.1993 außerplanmäßig in Frankfurt am Main. Von dort erfolgte durch die zuständigen Behörden eine Unterbringung des Klägers in einem Übergangswohnheim in Brandenburg, wo bereits die drei Monate zuvor aus Kasachstan eingereiste Tochter lebte. Auf Betreiben der in Westdeutschland lebenden Verwandten erhielten der Kläger und seine Ehefrau nach Absolvierung eines Sprachkurses die Erlaubnis zum Umzug nach Westdeutschland, welcher am 15.05.1994 nach X erfolgte.
Mit Bescheid vom 28.12.1999 bewilligte die Beklagten dem Kläger ab 01.01.2000 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit unter Zugrundelegung von Entgeltpunkten Ost.
Am 31.12.2004 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Neufeststellung der bislang gewährten Rente nach § 44 SGB X. Mit Bescheid vom 23.01.2008 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag als unbegründet ab. Es seien keine weiteren rentenrechtlich relevanten Zeiten geltend gemacht bzw. keine Nachweise für eine höhere Bewertung der Zeiten eingereicht worden.
Hiergegen legte der Kläger am 28.01.2008 Widerspruch ein und bat um Berücksichtigung einer Ersatzzeit für die Kommandanturaufsicht bzw. Verschleppung ab dem 14. Lebensjahr. Zudem begehrte der Kläger die Berücksichtigung von Entgeltpunkten West bei seiner Altersrente, da er in den neuen Bundesländern aufgrund...