Entscheidungsstichwort (Thema)
Gemeinsamer Bundesausschuss. Vorrangigkeit der Heilmittel-Richtlinien gegenüber Rahmenempfehlung der Vertragspartner nach § 125 Abs 1 SGB 5
Orientierungssatz
Den Heilmittel-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschuss gebührt hinsichtlich des Inhalts und Umfangs einzelner Heilmittel der Vorrang gegenüber den Rahmenempfehlungen der Vertragspartner aus § 125 Abs 1 SGB 5.
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Neufassung der Richtlinien des Beklagten über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Heilmittel-Ri) und die Anhörungsfristen dazu.
Der Kläger ist eine Organisation im Sinne des § 92 Abs. 6 Satz 2 Buch V des Sozialgesetzbuches (SGB V), die die Interessen von Heilmittelerbringern wie Ergotherapeuten, Logopäden, Masseuren und Physiotherapeuten wahrnimmt. Mit Schreiben vom 06.09.2003 übersandte der seinerzeit noch zuständige Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen die überarbeitete Fassung der Heilmittel-Ri, wobei die wichtigsten Änderungen markiert waren. Zusätzlich zur Papierform übersandte er eine CD-Rom mit den entsprechenden Dateien des Richtlinienentwurfs. Gleichzeitig wurde dem Kläger im Rahmen seines Anhörungsrechts nach § 92 Abs. 6 SGB V Gelegenheit gegeben, zu dem Entwurf bis zum 28.10.2003 Stellung zu nehmen. Dabei teilte der Bundesausschuss auch mit, dass später bei ihm eingehende Stellungnahmen nicht berücksichtigt werden könnten. Dieses Schreiben ist drei Tage später beim Kläger eingegangen. Auf die Bitte um Fristverlängerung teilte der Bundesausschuss unter dem 20.10.2003 mit, dass die Frist zum Einreichen der Stellungnahme bis zum 04.11.2003 verlängert werde, auch hier aber später eingegangene Stellungnahmen nicht berücksichtigt werden können. Dieses Schreiben ist zwei Tage später beim Kläger eingegangen.
Mit seiner Klage vom 31.10.2003 hat der Kläger zunächst geltend gemacht, seine Anhörungsrechte seien verletzt.
Der Bundesausschuss beschloss am 01.12.2003 die Änderung der Heilmittel-Richtlinien und legte diese Änderung dem Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung in Hinblick auf dessen Beanstandungsrecht nach § 94 SGB V vor; die Richtlinien sollten am 01.04.2004 in Kraft treten.
Zu diesem Zeitpunkt trat das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz - GMG) in Kraft, nach dessen Artikel 35 (Gesetz zu Übergangsregelungen zur Neuorganisation der vertragsärztlichen Selbstverwaltung und Organisation der Krankenkassen, § 6 Abs. 1 Satz 1) der Beklagte nach § 91 SGB V zum 01. Januar 2004 errichtet wird. Nach Satz 2 dieses Absatzes tritt er unter anderem die Rechtsnachfolge des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen an. Nach Absatz 4 der Vorschrift bleiben die Richtlinien des Ausschusses in Kraft, sie können jedoch vom Beklagten geändert und aufgehoben werden. Mit Beschluss vom 16.03.2004 schließlich hat der Beklagte die Heilmittel-Ri teilweise geändert. Sie hält der Kläger für teilweise nichtig und hat die Klage insoweit erweitert.
Der Kläger bemängelt zunächst, die Einleitung des Anhörungsverfahrens hätte der Unterschrift des Vorsitzenden des Bundesausschusses bedurft, nicht der der Geschäftsführung; darüber hinaus sei die Frist nicht angemessen festgesetzt worden, auch nicht die einwöchige Verlängerung; Richtschnur für die Entscheidung des Beklagten müssten die in den Prozessordnungen des deutschen Gerichtssystems allgemein geltenden und auch im SGG normierten Fristen sein; abweichend von der Monatsfrist des § 164 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zum Einlegen der Revision normiere Absatz 2 der Vorschrift die Frist zum Einreichen der Begründung auf zwei Monate nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision und könne auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden; wenn der Beklagte daher eine Frist von nur einem Monat setze und eine Fristverlängerung von nur einer Woche bewillige, handele er außerhalb der Grundsätze der deutschen Rechtsordnung und damit ermessensfehlerhaft; dabei hätte der Beklagte berücksichtigen müssen, dass der Kläger von seinen Mitgliedern Fachstellungnahmen einzuholen habe, die dort erst erarbeitet werden müssten; sodann müssten die Gremien des Klägers darüber beraten und eine gemeinsame Stellungnahme erarbeiten; dies sei binnen eines Monats nicht einmal denkbar, zumal der Bundesausschuss den Kläger im Vorfeld nicht beteiligt habe; auch habe der damalige Vorsitzende erkennen lassen, dass er an einer ernsthaften Stellungnahme des Klägers gar nicht interessiert gewesen sei. Darüber hinaus folge aus dem grundgesetzlich gewährten Rechtsstaatsprinzip, dass der Rechtsvorgänger des Beklagten - ebenso wie der Beklagte selbst - die von ihm vorgesehenen Änderungen begründe; anderenfalls sei die Intention und der Zweck einer hoheitlichen Regelung für den Betroffenen nicht erkennbar, wenn er in das Anhörungsverfahren...