Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. Grundleistung. pauschaler Mehrbedarf wegen Schwangerschaft. fehlende Rechtsgrundlage. keine analoge Anwendung des § 30 Abs 2 SGB 12. Fehlen einer planwidrigen Regelungslücke. sonstige Leistung. konkret-individuelle Bedarfsdeckung. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Nach § 1 Abs 1 AsylbLG haben Leistungsberechtigte wegen Fehlens einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage keinen Anspruch auf einen pauschalen Mehrbedarf wegen Schwangerschaft. Mangels Regelungslücke kann ein solcher Anspruch auch nicht aus einer analogen Anwendung von § 30 Abs 2 SGB 12 hergeleitet werden. Abweichendes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10 ua = BVerfGE 132, 134 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2.
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung eines pauschalen Mehrbedarfes wegen Schwangerschaft entsprechend § 30 Abs. 2 SGB XII.
Die 1992 geborene Klägerin, nach eigenen Angaben sierra-leonischer Staatsangehörigkeit, reiste im Jahr 2010 in das Bundesgebiet ein, wo sie am 27. Oktober 2010 einen Asylantrag stellte; seither erhält sie Leistungen nach dem AsylbLG. Das Asylverfahren ist seit August 2014 rechtskräftig negativ abgeschlossen; seither verfügt sie über eine Duldung.
Mit Schreiben vom 28. Mai 2014 beantragte die Klägerin, die sich zu dieser Zeit in der zweiundzwanzigsten Schwangerschaftswoche befand, die Gewährung eines pauschalen Mehrbedarfs für Schwangere analog § 30 Abs. 2 SGB XII sowie Erstausstattung bei Schwangerschaft.
Nachdem der Beklagte der Klägerin nur einen Gutschein für Schwangerenbekleidung in Höhe von 116,-- € gewährte, beantragte diese mit Schreiben vom 29. August 2014 erneut die Bewilligung von pauschalierten Mehrbedarfsleistungen für Schwangere. Der Beklagte bat daraufhin die Klägerin um Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung, aus welcher ersichtlich sei, welche konkreten zusätzlichen Aufwendungen sie aufgrund ihrer Schwangerschaft gegenüber einer Nichtschwangeren habe und forderte zugleich entsprechende Nachweise an. Die Klägerin wies mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 17. September 2014 darauf hin, dass eine genaue Aufstellung des Mehrbedarfes nicht möglich sei. Dass eine Schwangere einen höheren Bedarf habe, ergebe sich "aus der gesetzlichen Regelung".
Mit Bescheid vom 30. September 2014 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Ein pauschaler Mehrbedarf für Schwangere sei im AsylbLG nicht vorgesehen. Die angeforderte ärztliche Bescheinigung sowie die erforderlichen Nachweise hinsichtlich der konkreten Mehraufwendungen seien nicht vorgelegt worden.
Den gegen die Ablehnung eingelegten Widerspruch wies die Regierung von Niederbayern mit Bescheid vom 18. Juni 2015 als unbegründet zurück. Es sei schon zweifelhaft, ob überhaupt ein zu befriedigender Mehrbedarf bestehe; denn bislang sei noch nicht dargelegt worden, warum der Kindsvater, ein österreichischer Staatsangehöriger, nicht in der Lage sein sollte, seinen Unterhaltspflichten gemäß § 1615 BGB nachzukommen. Des Weiteren sei festzuhalten, dass eine Pauschalierung des schwangerschaftsbedingten Mehrbedarfs nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG ausgeschlossen sei. Entgegen der Ansicht der Klägerin sei eine Pauschalierung des Mehrbedarfs auch nicht verfassungsrechtlich geboten; insoweit werde auf den Beschluss des LSG Bremen-Niedersachsen vom 27. November 2014 (Az.: L 8 AY 57/14 B ER) verwiesen.
Die Klägerin lies hiergegen Klage erheben. Zu deren Begründung wird vorgetragen: Der Anspruch der Klägerin sei zwingende Folge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2012 (Az.: 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11). Zwar habe das Gericht zu dem Schwangerschaftsmehrbedarf keine Aussage getroffen; da die vom Bundesverfassungsgericht festgelegte Übergangsregelung jedoch auf der Systematik der Regelsätze des SGB II/SGB XII beruhe, könnten auf der Grundlage des § 6 AsylbLG auch laufende Mehrbedarfe analog dem SGB XII beansprucht werden. Des Weiteren sei eine deutliche Unterdeckung des atypischen Mehrbedarfs bei fortgeschrittener Schwangerschaft unter grundrechtlichen Gesichtspunkten (Art. 1 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 3 GG) nicht hinzunehmen. Endlich würden auch andere Sozialbehörden für Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG auf der Grundlage des § 6 AsylbLG einen Mehrbedarf analog § 30 Abs. 2 SGB XII gewähren.
Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 30. September 2014 und des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2015 zu verpflichten, der Klägerin einen Mehrbedarf wegen Schwangerschaft analog § 30 Abs. 2 SGB XII zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Ein Anspruch auf pauschalierte Mehrbedarfsleistungen bestünde nicht. Dies ergebe sich aus § 9 AsylbLG und dem in § 6 AsylbLG niedergelegten Sachleistungsprinzip. Eine Konkretisierung des individuellen Mehrbedarfes ...