Orientierungssatz
Der Bezug von Alg II ist solange i.S.v. § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 2. Hs SGB 5 nicht unrechtmäßig, wie der Leistungsträger die Bewilligung von Alg II nicht aufgehoben hat.
Solange der Leistungsträger von Alg II die bestandskräftige Bewilligung nicht aufgehoben hat, ist die Leistung formal rechtmäßig bezogen worden. Erst nach bzw. mit der Aufhebung wegen einer wesentlichen Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen endet die berücksichtigungsfähige Vorversicherungszeit.
Den Krankenkassen ist es verwehrt, bei der Vorversicherungszeit für eine freiwillige Versicherung von ehemaligen Beziehern von Alg II i.S.v. § 9 Abs 1 Nr 1 SGB 5 eigenständig zu überprüfen, ob die Mitgliedschaft auf einem rechtswidrigen Bezug von Alg II beruht hat.
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 9. Juni 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2007 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger ab 1. Oktober 2006 als freiwilliges Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung aufzunehmen.
3. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Der 1952 geborene Kläger, der seit dem 15. Dezember 2005 von dem Prozessbevollmächtigten gesetzlich betreut wird, war vom 01. Januar 2005 bis zum 30. September 2006 wegen der Zahlung von Arbeitslosengeld 2 (ALG ) bei der Beklagten als Pflichtmitglied krankenversichert. Zuvor war er zuletzt 1978 gesetzlich krankenversichert.
Mit Schreiben vom 6. April 2006 ( Bl. 53 d. VerwA der Beigel.) wandte sich die Beklagte an die Beigeladene und äußerte erhebliche Zweifel an der Erwerbsfähigkeit des Klägers i.S.d. § 8 Abs. 1 Sozialgesetzbuch 2. Buch ( SGB 2 ). Ab 1. Mai 2006 erhielt der Kläger Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch 12. Buch ( SGB 12 ) unter Anrechnung der weiterhin gewährten Leistungen nach dem SGB 2. Unter Übersendung dieses Schreibens meldete die Arbeitsgemeinschaft Lübeck als zuständiger Leistungsträger von ALG 2 mit Schreiben vom 2. Mai 2006 bei der Beigeladenen einen Erstattungsanspruch an.
Mit Schreiben vom 22. Mai 2005 beantragte der Kläger formlos die Aufnahme als freiwillig krankenversichertes Mitglied bei der Beklagten.
Mit Bescheid vom 09. Juni 2006 lehnte die Beklagte diesen Antrag mit der Begründung ab, Zeiten, in denen die Versicherung allein deshalb bestanden habe, weil ALG 2 - hiervon müsse im Fall des Klägers ausgegangen werden - zu Unrecht bezogen worden sei, blieben unberücksichtigt. Damit sei die Vorversicherungszeit nicht erfüllt. Der Bescheid enthielt keine Rechtsmittelbelehrung.
Dagegen erhob der Kläger am 10. November 2006 Widerspruch und wandte ein, die Leistungen nach dem SGB 2 seien nicht zu Unrecht bezogen worden. Ein unrechtmäßiger Leistungsbezug könne nur dann vorliegen, wenn der gesamte Bewilligungsbescheid durch die Arbeitsgemeinschaft zurückgenommen und die Leistungen zurückgefordert würden. Dies sei nicht der Fall.
Die Aufhebung der Bewilligung von ALG 2 erfolgte durch Bescheid der ARGE vom 20. November 2006 mit Wirkung zum 1. Oktober 2006 unter Bezugnahme auf §§ 7 Abs. 1, 8 und 9 Abs. 1 SGB 2 und 48 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch 10. Buch ( SGB 10 ) mit der Begründung, die Erwerbsfähigkeit sei weggefallen.
Mit Bescheid vom 19. Januar 2007 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung führte sie aus, gemäß § 7 Abs. 1 Satz1 Nr. 2 SGB II bestehe ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II nur bei vorliegender Erwerbsfähigkeit (§ 8 SGB II). Aus den gespeicherten Krankheitsdaten gehe hervor, dass der Kläger unter chronischer Niereninsuffizienz, arteriellem Hypertonus, hypertensiver Herz-Nierenkrankheit, einem Zustand nach Stammganglien-Einblutung in Folge hypertensiver Enzephalopathie sowie Epilepsie leide. Realistischerweise sei daher von einer längerfristigen Erwerbsunfähigkeit auch in der Vergangenheit auszugehen und somit davon, dass Erwerbsunfähigkeit - wenn nicht sogar schon vor Beginn des Leistungsbezuges - bereits vor der Aufhebung des Leistungsbezuges von ALG 2 am 22. November 2006 vorgelegen habe. Bei der Beurteilung der Vorversicherungszeit sei es unerheblich, bis zu welchem Zeitpunkt die Leistung (zu Unrecht) weitergezahlt und ob die Leistung zurückgefordert worden sei. Dies habe das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht in seinem Beschluss vom 19. September 2006 Aktenzeichen L 5 B 376/06 KR ER bestätigt. Somit könne zumindest die Zeit vom 01. Mai bis zum 30. September 2006 bei der Anrechnung der Versicherungszeiten nicht berücksichtigt werden, da für diesen Zeitraum durch die Stadt Lübeck Leistungen nach dem SGB 2 bewilligt und diese Leistungen mit der ARGE verrechnet worden seien. Daraus folge, dass der Kläger innerhalb der maßgeblichen Rahmenfrist vom 01. Oktober 2005 bis 30. September 2006 eine durchgehende Vorversicherungszeit von 12 Monaten vor dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht nicht nachweisen könne.
Gegen den am 24. Januar 2007 zugestellten Beschei...