Entscheidungsstichwort (Thema)

Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto. Beitragsfiktion. deutsch-amerikanisches Abkommensrecht. Antragsgleichstellung. Rentenbeginn. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für diejenigen Berechtigten nach dem ZRBG, die das 65. Lebensjahr bereits unter der Geltung der RVO vollendet haben, ist kein Anspruch auf Altersruhegeld gem §1248 Abs 5 RVO entstanden, da sie die allgemeine Wartezeit erst mit dem rückwirkenden Inkrafttreten des ZRBG zum 1.7.1997 erfüllt haben. Die Beitragsfiktion des § 2 ZRBG bewirkt nicht, dass die allgemeine Wartezeit als mit Vollendung des 65. Lebensjahres erfüllt gilt. Die Fiktion der Erfüllung der Wartezeit mit Vollendung des 65. Lebensjahres gilt gem § 3 Abs 2 ZRBG nur für die Ermittlung des Zugangsfaktors.

2. Erfordert das zwischenstaatliche Abkommensrecht wie das deutsch-amerikanische bei Antragstellung in dem einen Vertragsstaat ein "Kenntlich-Machen" einer weiteren Rentenberechtigung in dem anderen Vertragsstaat, gilt dies auch für Berechtigte nach dem ZRBG. Fehlt es an einem "Kenntlich-Machen" und damit einem gleichgestellten Antrag auf Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung, kann dies nicht durch die Fiktion einer Antragsgleichstellung ersetzt werden. Nur wenn bis zum 30.6.2003 tatsächlich ein Antrag auf Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung gestellt wurde, greift die Fiktion eines am 18.6.1997 gestellten Antrages gem § 3 Abs 1 S 1 ZRBG.

3. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die LVA Freie und Hansestadt Hamburg, hat den amerikanischen Sozialversicherungsträger rechtzeitig, umfassend und zutreffend über das ZRBG informiert. Ein der Beklagten, zumindest im Sinne einer wesentlichen Mitursache, zuzurechnender Aufklärungsmangel des amerikanischen Sozialversicherungsträgers scheidet daher aus.

4. Zu den Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches im Zusammenhang mit der "Ghettorechtsprechung" des BSG vom 18.6.1997 - 5 RJ 66/95 = BSGE 80, 250 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15 und dem ZRBG.

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

3. Die Sprungrevision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger anstelle der ihm ab dem 01.03.2010 gewährten Regelaltersrente einen Anspruch auf Altersruhegeld ab dem Folgemonat der Vollendung des 65. Lebensjahres (01.08.1991) hat oder ob ihm hilfsweise die Regelaltersrente bereits ab dem 01.07.1997 zu gewähren ist.

Der am 25.07.1926 in ...... (Jugoslawien) geborene Kläger ist jüdischer Abstammung und als Verfolgter im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) anerkannt. Vom 16.04.1944 bis zum 15.05.1944 hielt er sich zwangsweise in den Ghettos Szeged und Baja, beide in Ungarn, auf, wo er eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss gegen Entgelt ausübte. Bis zu seiner Befreiung im Mai 1945 musste er sich in verschiedenen Zwangsarbeitslagern, zuletzt in ...... (Österreich) aufhalten. Anschließend reiste er über Tschechien nach Italien, von wo aus er am 01.06.1947 in die USA einwanderte, deren Staatsangehörigkeit er besitzt.

Am 15.06.1990 stellte der Kläger bei der US-amerikanischen Rentenversicherung, der Social Security Administration (SSA), einen Antrag auf Rente und bezieht seit 1991 von dort Leistungen.

Am 09.03.2010 beantragte er bei der Beklagten die Gewährung einer Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) vom 20.06.2002 sowie Verfolgungsersatzzeiten.

Mit Bescheid vom 21.03.2011 bewilligte die Beklagte dem Kläger Regelaltersrente ab dem 01.03.2010 in Höhe von 303,62 € monatlich. Bei der Rentenberechnung berücksichtigte sie Ghetto-Beitragszeiten vom 16.04.1944 bis zum 15.05.1944 sowie Verfolgungsersatzzeiten vom 31.03.1944 bis 15.04.1944 und vom 16.05.1944 bis 31.12.1949 bei einem Zugangsfaktor von 2,115 (Erhöhung des Zugangsfaktors von 1,0 um 0,005 Entgeltpunkte für 223 Kalendermonate (223 x 0,005 = 1,115), in denen die Regelaltersrente trotz erfüllter Wartezeit nach Vollendung des 65. Lebensjahres nicht in Anspruch genommen wurde, § 77 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch - SGB VI).

Dagegen legte der Kläger am 28.03.2011 Widerspruch ein, mit dem er sich gegen den Rentenbeginn erst ab dem 01.03.2010 wandte. Der Rentenbeginn sei unter Berücksichtigung der Antragsgleichstellung gem. Art. 14 Abs. 1 des deutsch-amerikanischen Sozialversicherungsabkommens (DASVA) nach Maßgabe des in den USA gestellten Rentenantrages festzusetzen. Die Akte der SSA sei beizuziehen, um festzustellen, welche Angaben der Kläger seinerzeit dort gemacht habe. Sicher sei jedenfalls, dass er angegeben habe, NS-Verfolgter zu sein. Allein dies impliziere deutsche Zeiten, die ein rentenrechtliches Verfahren hätten in Gang setzen müssen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.09.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Grundsät...

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