Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Wirtschaftlichkeitsprüfung ärztlich verordneter Leistungen. Festsetzung eines Regresses wegen unzulässiger Verordnung von Therapieallergenen. fehlende arzneimittelrechtliche Zulassung. Verkehrsfähigkeit lediglich aufgrund von Übergangsvorschriften. Nichtanwendung der Differenzkostenberechnung nach § 106b Abs 2a SGB 5. Entbehrlichkeit eines Vorverfahrens

 

Orientierungssatz

1. Zur Festsetzung eines Regresses nach Wirtschaftlichkeitsprüfung betreffend Arzneimittel im Einzelfall (hier: Verordnung von Pollinex Quattro Birke/Erle/Hasel Injektionssuspension im Quartal 3/2020).

2. Der Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln nach dem SGB 5 setzt mehr voraus als die bloße Verkehrsfähigkeit des Arzneimittels nach dem Arzneimittelrecht, wie sich schon aus der Existenz eigener gesetzlicher Leistungskonkretisierungen und -beschränkungen insbesondere mit Rücksicht auf die Kriterien der §§ 2 , 12 SGB 5 und den diese ausfüllenden untergesetzlichen Regelungen ergibt (vgl BSG vom 22.10.2014 - B 6 KA 35/13 R = juris RdNr 60 ). Nur wenn im Verfahren der Zulassung des Arzneimittels eine Überprüfung der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit erfolgt ist, ist die Arzneimittelzulassung als ausreichend auch für die Verordnungsfähigkeit im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu akzeptieren (vgl BSG vom 15.7.2015 - B 6 KA 19/15 B = juris RdNr 5 ).

3. Die Verkehrsfähigkeit von Pollinex Quattro wird im streitgegenständlichen Zeitraum arzneimittelrechtlich durch die Übergangsvorschrift des § 3 Abs 1 der Therapieallergene-Verordnung (TAV) iVm dem gestellten Zulassungsantrag lediglich fingiert. Für eine Verordnung und Abrechnung zulasten der GKV reicht dies nicht aus.

4. Auch die staatliche Chargenprüfung gem § 32 AMG (juris: AMG 1976) rechtfertigt keine Gleichstellung mit zugelassenen Therapieallergenen.

5. Eine verpflichtende vorherige Beratung vor Festsetzung eines Regresses war nicht erforderlich.

6. Das Recht der Wirtschaftlichkeitsprüfungen ist dadurch gekennzeichnet, dass es auf ein "Verschulden" des betroffenen Arztes bzw auf eine besondere Vorwerfbarkeit für die festgestellte unwirtschaftliche Behandlungsweise - anders als zB im Falle eines echten Schadensregresses - nicht ankommt.

7. Die Vorschrift des § 106b Abs 2a SGB 5 ist dahingehend auszulegen, dass die Differenzkostenberechnung im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung lediglich auf Nachforderungen wegen unwirtschaftlicher Verordnungen im engeren Sinne anzuwenden ist und sämtliche Formen der unzulässigen Verordnung - wie hier - nicht erfasst.

8. Gemäß § 78 Abs 1 S 2 Nr 1 SGG bedarf es eines Vorverfahrens dann nicht, wenn ein Gesetz dies für besondere Fälle bestimmt (hier: Anwendung des § 106c Abs 3 S 6 SGB 5 ).

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens bis auf die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

3. Die Berufung wird zugelassen.

4. Der Streitwert wird auf 747,15 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten wegen eines Regresses nach Wirtschaftlichkeitsprüfung betreffend Arzneimittel im Einzelfall.

Die Klägerin ist als Hautärztin zugelassen und führt eine Einzelpraxis in . Sie führt die Zusatzbezeichnung „Allergologie“.

Am 31.01.2022 ging bei der Beklagten ein Antrag auf Wirtschaftlichkeitsprüfung im Einzelfall gemäß § 10 Abs. 1 Ziffer 3 der Prüfvereinbarung der Beigeladenen zu 1) ein. Im Jahr 2008 sei die Therapieallergene-Verordnung (TAV) in Kraft getreten, mit der die Zulassungspflicht auf Therapieallergene erweitert worden sei. Der Antrag betreffe die Verordnung von Pollinex Quattro Birke/Erle/Hasel Injektionssuspension bei der Versicherten .. (geboren ..) mit Datum vom . Diese Verordnung enthalte Therapieallergene ohne gültige Zulassung und habe daher nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse verordnet werden dürfen. Es werde um Festsetzung eines Regresses in Höhe von 747,15 € gebeten. Die Verordnung sei als Off-Label-Use erfolgt. Daher sei eine Differenzbetrachtung gemäß TSVG nicht zu berücksichtigen.

Mit Schreiben vom 08.02.2022 wurde die Klägerin über den Prüfantrag informiert.

Mit Schreiben vom 16.02.2022 teilte die Beigeladene zu 1) mit, dass das Argument des Off-Label-Use nicht weiter aufrechterhalten werde. Dennoch sehe man keinen Ansatzpunkt für eine Kostendifferenzberechnung gemäߧ 106b Abs. 2a SGB V und verzichte daher auf die Berücksichtigung. Der Antrag wurde ergänzend begründet unter Hinweis auf das Schreiben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und des GKV-Spitzenverbandes vom 15.11.2021 zum Thema allergenspezifische Immuntherapie. Dieses Schreiben sei sowohl den Kassenärztlichen Vereinigungen als auch einigen Krankenkassen zugegangen. Es sei darauf hingewiesen worden, dass mit Inkrafttreten der TAV im Jahr 2008 die Zulassungspflicht auf Therapieallergene erweitert worden sei. Nach zehn Jahren befänden sich noch immer über 50 zulassungspflichtige Produkte in einem laufenden Zulassungsverfahren. Für diese sei zwar über die V...

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