Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe nach der Besonderheit des Einzelfalles. Hilfe zur Pflege. Einrichtungswechsel. unverhältnismäßige Mehrkosten. Vergleich der ungedeckten Pflegeheimkosten. verfassungskonforme Auslegung

 

Orientierungssatz

1. Bei Wünschen des Leistungsberechtigten iS des § 9 Abs 2 S 1 SGB 12 existiert keine starre Grenze, ab welcher Höhe Unverhältnismäßigkeit angenommen werden muss. Vielmehr muss jeweils unter Beachtung der Umstände des Einzelfalles entschieden werden, ob durch die Berücksichtigung eines Wunsches des Sozialhilfeträgers dem Sozialhilfeträger unverhältnismäßige Mehrkosten entstehen. Dabei erschöpft sich der Mehrkostenvorbehalt nicht in einem rein rechnerischen Kostenvergleich, sondern verlangt (auch) eine wertende Betrachtungsweise, bei der das Gewicht der vom Hilfeempfänger gewünschten Gestaltung der Hilfe im Hinblick auf seine individuelle Notsituation zu berücksichtigen ist.

2. Im Rahmen des Kostenvergleichs ist nicht auf die absoluten Kosten der Einrichtung, sondern auf die Mehrkosten abzustellen, welche dem örtlichen Sozialhilfeträger tatsächlich entstehen würden. Dabei ist von den Kosten auch das vom Hilfebedürftigen einzusetzende Einkommen und Vermögen abzuziehen. Bei Heimunterbringung werden gem §§ 85, 87, 19 Abs 3 SGB 12 sämtliche Einkünfte angerechnet. Die sich hieraus ergebende Ungleichbehandlung zwischen einkommenslosen Pflegebedürftigen und Pflegebedürftigen mit Einkommen ist sachlich jedoch gerechtfertigt (Anschluss an SG Lüneburg vom 3.4.2007 - S 22 SO 56/07 R).

 

Tatbestand

Gegenstand des Rechtsstreits ist die Übernahme der ungedeckten Kosten der Heimunterbringung für die Klägerin.

Die am 20.2.1928 geborene und in die Pflegestufe II eingruppierte Klägerin lebt sei dem 5.10.2006 in einer stationären Pflegeeinrichtung. Träger der Einrichtung ist die Beigeladene. Die Beigeladene hat mit der Beklagten einen Versorgungsvertrag, eine Leistungs- und Qualitätsvereinbarung sowie eine Vergütungsvereinbarung abgeschlossen.

Am 5.10.2006 stellte die Klägerin, da sie die Kosten der Heimunterbringung nicht (in voller Höhe) selber tragen konnte, bei der Beklagten ein Antrag auf Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII.

Nach Vorlage der Unterlagen zu den finanziellen Verhältnissen der Klägerin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 7.12.2006 den Antrag der Klägerin ab. Diese verfüge über ein monatliches Einkommen in Höhe von 765,10 € (Altersrente 146,91 €, Witwenrente 583,61 €, Betriebsrente 34,58 €). Hinzu kämen die Leistungen der Pflegeversicherung in Höhe von 1279 € monatlich. Der Bedarf der Klägerin betrage bei einem Pflegesatz (Pflegestufe II) in Höhe von 84,22 € täglich bei 31 Tagen insgesamt 2.610,82 € im Monat. Wenn man von dem Bedarf in Höhe von 2.610,82 € ein Einkommen von 765,10 € und die Pflegeversicherungsleistungen in Höhe von 1.279,-- € abziehe, ergebe sich ein sozialhilferechtlicher Bedarf in Höhe von 566,72 €.

Dieser sei von der Beklagten jedoch nicht zu übernehmen, da § 9 Abs 2 SGB XII zu berücksichtigen sein. Eine Vergleichsberechnung mit einer (fiktiven) Unterbringung der Klägerin in einer anderen Einrichtung führe zur Feststellung unverhältnismäßiger Mehrkosten, die die Beklagte nicht zu übernehmen habe. Bei der Unterbringung in einer anderen Pflegeeinrichtung im Gebiet der Beklagten betrage der Pflegesatz nur 74,60 € täglich. Daher fielen dort nur Pflegekosten in Höhe von 2.312,60 € je Monat an und es würde folglich - nach Abzug des eigenen Einkommens der Klägerin - nur ein ungedeckter Bedarf in Höhe von 268,50 € je Monat verbleiben, sofern man die Klägerin in dieser anderen Pflegeeinrichtung unterbringe. Durch die Unterbringung der Klägerin im Haus der Beigeladenen entstünden somit Mehrkosten in Höhe von rd. 298,-- € monatlich. Prozentual gesehen lägen die ungedeckten Kosten im Haus der Beigeladenen (566,72 €) um 211% höher als die in der Vergleichseinrichtung mit 268,50 €. Somit seien die entstehenden Mehrkosten unverhältnismäßig hoch und nicht als angemessen anzusehen. Das Interesse an der wirtschaftlichen und sparsamen Verwendung der öffentlichen Mittel überwiege hier. Auch der Hinweis, dass die Mehrkosten durch die Angehörigen übernommen würden, führe nicht zur Bewilligung von Leistungen. Würde man die gleiche Beteiligung der Angehörigen in der Vergleichseinrichtung zu Grunde legen, entstünde dort überhaupt kein sozialhilferechtlicher Bedarf.

Gegen diese Entscheidung legte die Klägerin Widerspruch ein und verwies darauf, dass für die Anwendung des § 9 Abs 2 SGB XII hier kein Raum sei. Die Regelung der §§ 75 SGB XII verdränge die Vorschrift des § 9 Abs 2 SGB XII. Mit Abschluss der Vergütungsvereinbarung habe die Beklagte die in Anspruch genommenen Leistungen als wirtschaftlich angesehen. Die in Anspruch genommene Hilfe führe auch nicht zu unverhältnismäßigen Mehrkosten. Andere Einrichtungen seien nur 11,42% günstiger und dies sei durch Besonderheiten der Einrichtung der Beigeladenen mit einem höheren Standard und bessere Leistungen bei der Beigeladenen begründet. A...

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