Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. Anspruchseinschränkung. Verfassungsmäßigkeit. Anwendbarkeit. restriktive Auslegung. Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Hinweis auf Mitwirkungsobliegenheit und Rechtsfolgen fehlender Mitwirkung. zeitliche Befristung. Umfang der Leistungskürzung
Leitsatz (amtlich)
§ 1a AsylbLG ist auch nach der Entscheidung des BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10 ua = BVerfGE 132, 134 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 anwendbar. Allerdings müssen hierbei im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sowohl in formeller, als auch in materieller Hinsicht strenge Regularien beachtet werden.
Tenor
1. Unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 25.09.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.03.2013 wird der Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Monate August bis November 2012 zusätzlich zu den bereits bewilligten und ausgezahlten Leistungen monatlich weitere 133,33 € zu gewähren.
2. Der Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten dem Grunde nach in voller Höhe zu erstatten.
3. Die Berufung wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Angelegenheit zugelassen.
Tatbestand
Im Anschluss an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 18.7.2012 (1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11) streiten die Beteiligten um die Frage, ob der am ... geborene Kläger höhere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) beanspruchen kann.
Der aus Algerien stammende Kläger, dessen Aufenthalt im Bundesgebiet jetzt nur noch geduldet wird, bezieht schon seit längerem Leistungen nach dem AsylbLG.
Zuletzt bewilligte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 25.9.2012 für die Monate August bis November 2012 in Umsetzung des zitierten Urteils des BVerfG monatliche Leistungen von jeweils 541,20 €. Zur Begründung führte der Beklagte aus, die Grundleistungen nach § 3 Abs. 1 AsylbLG seien wie zuvor “gemäß § 1a AsylbLG um die Höhe des Taschengeldes gekürzt„ worden. Somit setzte sich der monatliche Leistungsbetrag wie folgt zusammen (vgl. Berechnungsbogen):
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- Mietkosten: |
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255,60 € |
- Heizkosten: |
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85,00 € |
- Grundleistungen (§ 3 Abs. 2 AsylbLG): |
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212,00 € |
- abzüglich Haushaltsstrom (aus Nebenkosten): |
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20,00 € |
- zuzüglich Erhöhung für Mehrbedarf Warmwasser: |
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8,60 € |
Gegen diese Entscheidung erhob der Kläger am 9.10.2012 Widerspruch, denn er sei “mit der Kürzung des Taschengeldes nicht einverstanden„. Später (Schreiben vom 21.2.2013) führte der Kläger aus, das BVerfG habe am 18.7.2012 “eindeutig„ festgelegt, dass eine Kürzung der Leistungen “aus migrationspolitischen Gründen„ nicht erfolgen dürfe.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens teilte das zuständige Ausländeramt mit (Schriftsatz vom 23.10.2012), dass der Kläger “in keinster Weise bei der Passbeschaffung„ mitwirke. Er sei “schon bei verschiedenen Botschaften vorgeführt„ worden, überall sei “das Ergebnis negativ„ gewesen. “Bezüglich des Kindes„ seien “schon mehrfach Unterlagen wie eine Geburtsurkunde„ und ein “Sorgerechtsnachweis„ angefordert worden. Auch dies sei “erfolglos„ geblieben. Stattdessen habe der Kläger immer wieder “beteuert ..., dass er ein Kind„ habe “und sich darum kümmern möchte„. Entsprechende Nachweise habe er aber nicht vorgelegt. Später (31.10.2012) teilte das Ausländeramt telefonisch ergänzend mit, mittlerweile habe der Kläger eine Geburtsurkunde seines Kindes vorgelegt. Es müsse noch geprüft werden, ob deshalb “ein Abschiebungshindernis„ bestehe. Nach Aktenlage habe der Kläger aber bislang noch nie einen Antrag gestellt, “um nach Meiningen (Südthüringen) besuchsweise reisen zu dürfen„.
Mit weiteren Bescheiden vom 21.11.2012 und vom 30.1.2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger auch für die Monate Dezember 2012 bis Februar 2013 bzw. März bis Mai 2013 Leistungen in Höhe von (unverändert) monatlich 541,20 €. In beiden Bescheiden wies der Beklagte darauf hin, über den Widerspruch wegen der “Taschengeldkürzung„ werde entschieden, sobald das Ausländeramt eine weitere Anfrage beantwortet habe (Bescheid vom 21.11.2012) bzw. der Kläger werde wegen dieses Widerspruchs eine “gesonderte Nachricht„ erhalten (Bescheid vom 30.1.2013).
Mit Widerspruchsbescheid vom 1.3.2013 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück: Der Bescheid vom 25.9.2012 sei rechtmäßig, denn der Kläger habe bereits vor Jahren einen Asylantrag gestellt und sei vollziehbar ausreisepflichtig. Sein Aufenthalt im Bundesgebiet werde nur geduldet. Nach Auskunft des Ausländeramtes bzw. des zuständigen Regierungspräsidiums habe er nämlich “trotz mehrfacher Aufforderung ... nicht ausreichend bei der Passbeschaffung mitgewirkt„. Der Kläger sei schon (erfolglos) “bei verschiedenen Botschaften vorgeführt„ worden. “Letztlich„ seien “die fehlenden Reisedokumente ursächlich dafür, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden„ könnten. Dies sei “eindeutig„ auf das Verhalten des Klägers zurückzuführen.
Am 21.3.2013 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht erhoben und führt aus, er sei algerische Staatsang...