Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. vertragsärztliche Versorgung. Praxisnachfolge. Berufungsausschuss. Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Zulassung im überwiegenden Interesse eines Beteiligten. Nachbesetzungsverfahren in Planungsbereich mit Zulassungsbeschränkung. Zulassungsausschuss. Auswahlkriterien. Gewichtung. pflichtgemäßes Ermessen. keine generelle Bevorzugung von Bewerbern, die sich mit dem Praxisübergeber geeinigt haben. Fortführungswille bei Berufsausübungsgemeinschaft
Leitsatz (amtlich)
Der Berufungsausschuss kann die sofortige Vollziehung einer Zulassung im Wege einer Praxisnachfolge wegen der Anwendbarkeit des § 86a Abs 2 Nr 5 SGG auch im überwiegenden Interesse eines Beteiligten anordnen.
Orientierungssatz
1. Zu den Auswahlkriterien bei der Bewerberauswahl durch den Zulassungsausschuss bei Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens in einem Planungsbereich mit Zulassungsbeschränkungen.
2. Eine Gewichtung der Auswahlkriterien untereinander sieht das Gesetz nicht vor. Aufgabe der Zulassungsinstanzen ist es, die Kriterien im Einzelfall nach pflichtgemäßen Ermessen gegeneinander abzuwägen (vgl LSG Erfurt vom 13.6.2000 - L 4 KA 29/97 und SG Münster vom 5.10.1995 - S 2 Ka 55/95 = MedR 1996, 144).
3. Eine generelle Bevorzugung der Bewerber, die sich mit dem Praxisübergeber geeinigt haben, sieht das Gesetz nicht vor.
4. Soweit von gleicher Eignung auszugehen ist, kann derjenige auswählt werden, der sich bereits privatrechtlich mit dem Praxisinhaber geeinigt hat (vgl LSG Darmstadt vom 23.5.2007 - L 4 KA 72/06 und SG Marburg vom 21.3.2007 - S 12 KA 75/07 ER).
5. Einem Arzt, der die Tätigkeit des ausscheidenden Vertragsarztes in einer Berufsausübungsgemeinschaft nicht fortsetzen will, kann im Nachbesetzungsverfahren keine Zulassung erteilt werden (vgl BSG vom 29.9.1999 - B 6 KA 1/99 R = BSGE 85, 1 = SozR 3-2500 § 103 Nr 5 und vom 5.11.2003 - B 6 KA 11/03 R = BSGE 91, 253 = SozR 4-2500 § 103 Nr 1).
Tenor
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 30.04.2018 wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Gerichtskosten und die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners und der Beigeladenen zu 9) und 10) zu tragen. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Aussetzung der Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Praxisnachfolge in den Vertragsarztsitz des Beigeladenen zu 8), Facharzt für HNO-Heilkunde im Planungsbereich A-Stadt, zu Gunsten der Beigeladenen zu 9) und 10).
Der 1972 geb. und jetzt 46-jährige Antragsteller (im Folgenden: Kläger) ist seit 01.08.2003 approbiert und seit 30.01.2008 Facharzt für HNO-Heilkunde. Er war nach seiner Facharztanerkennung von Juli 2008 bis März 2009 Assistenzarzt an der Universitätsklinik für Dermatologie, Venologie und Allergologie G-Stadt, anschließend bis Dezember 2012 Oberarzt in der HNO-Abteilung des Klinikums der Stadt H. und anschließend Oberarzt der HNO-Klinik der Universität A-Stadt. Der Zulassungsausschuss für Ärzte bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen ließ den Kläger mit Beschluss vom 19.03.2014 zur gemeinsamen vertragsärztlichen Tätigkeit mit Herrn Dr. med. J. gem. § 101 Abs. 1 Nr. 4 SGB V (sog. Job-Sharing) mit Wirkung zum 01.04.2013 zu. Praxissitz ist A-Stadt, A-Straße. Er ist in die Warteliste seit 12.11.2011 eingetragen.
Herr C., Beigeladener zu 8), Facharzt für HNO-Heilkunde, war Mitglied der Beigeladenen zu 9), einer Berufsausübungsgemeinschaft mit zwei weiteren HNO-Ärzten mit zusammen 2 1/2 Versorgungsaufträgen. Er hatte einen vollen Versorgungsauftrag. Herr Dr. K. verfügt über einen ganzen und der zu 10) beigeladene Herr Dr. D. über einen hälftigen Versorgungsauftrag. Zwischen Herrn Dr. D. und Herrn Dr. L. als angestelltem Arzt bestand ein sog. Job-Sharing-Verhältnis.
Der Beigeladene zu 8) schied zum 30.06.2017 aus der Berufsausübungsgemeinschaft aus und beantragte die Ausschreibung seines Vertragsarztsitzes. Neben dem Kläger und einem weiteren Arzt bewarben sich die Beigeladene zu 9) als verbliebene Berufsausübungsgemeinschaft zur Beschäftigung des Dr. L. als angestellter Arzt mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden und der Beigeladene zu 10) mit dem Antrag auf Aufhebung der Beschränkung der Zulassung nach § 19a Abs. 3 Ärzte-ZV für einen weiteren hälftigen Versorgungsauftrag.
Herr Dr. L., geb. 1952 und jetzt 66 Jahre alt, ist seit 16.11.1978 approbierter Arzt. Seine Facharztanerkennung als HNO-Arzt erhielt er am 29.11.1983. Seitdem war er als Oberarzt und Stellvertreter des Chefarztes tätig und erhielt im Januar 1986 die Anerkennung der Zusatzbezeichnung "plastische Operationen". Ab März 1986 übte er eine Praxistätigkeit in der HNO-Praxis Dr. M. aus und übernahm ab Mai 1986 die Praxis. Daneben war er Belegarzt am Kreiskrankenhaus in M-Stadt. Nach Verurteilung im Jahr 1992 war er fünf Jahre in Haft. Seit 2003 übte er auf der Grundlage einer Erlaubnis nach § 10 BÄO regelmäßig ärztliche Tätigkeiten in der Praxis Dres. N. ...