Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Praxisverlegung. Unzulässigkeit eines Antrags auf Vorrat. keine Versagung bei in absehbarer Ferne liegenden Engpässen. Tatbestandsmerkmal der Gründe der vertragsärztlichen Versorgung
Leitsatz (amtlich)
Ebenso wie ein sog Antrag auf Vorrat (vgl BSG vom 12.9.2001 - B 6 KA 90/00 R = SozR 3-5520 § 25 Nr 5 = juris RdNr 23) unzulässig ist, ist auch die Versagung einer Praxisverlegung wegen evtl in nicht absehbarer Ferne liegender Engpässe unzulässig.
Orientierungssatz
Bei dem für eine Praxisverlegung maßgeblichen Tatbestandsmerkmal der “Gründe der vertragsärztlichen Versorgung„ sind allein planerische, die Sicherstellung der Patientenversorgung betreffende Umstände zu prüfen. Mit Hilfe dieses Merkmals kann zB möglicherweise daraufhin hingewirkt werden, dass ein Vertragsarzt seinen Vertragsarztsitz nicht gerade in einen schon gut versorgten Teil des Planungsbereichs verlegt (vgl BSG vom 10.5.2000 - B 6 KA 67/98 R = BSGE 86, 121 = SozR 3-5520 § 24 Nr 4).
Tenor
1. Es wir die sofortige Vollziehung des Beschlusses des Antragsgegners vom 10.09.2014 bis zum Ablauf der Berufungsfrist nach einer Entscheidung der Kammer im Hauptsacheverfahren mit Aktenzeichen: S 12 KA 455/14 angeordnet.
2. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
3. Die Beigeladene zu 1) hat der Antragstellerin ¾ der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten und ¾ der Gerichtskosten zu tragen. ¼ der Gerichtskosten hat die Antragstellerin zu tragen. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.
4. Der Streitwert wird auf 20.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens um eine Genehmigung der Antragstellerin als Allgemeinärztin nach § 103 Abs. 4b Satz 1 Halbsatz 1 i. V. m. § 95 Abs. 9 Satz 1 SGB V zur Anstellung der Frau Dr. med. CI.
Die 1951 geb. und jetzt 63-jährige Frau Dr. med. CI. war als Ärztin für Allgemeinmedizin mit vollem Versorgungsauftrag zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in B-Stadt zugelassen. Am 18.06.2013 verzichtete sie auf ihre Zulassung zum 30.06.2014 und beantragte die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens. Sie beantragte unter Datum vom 01.04.2014, ihren Praxissitz in die Praxis der Klägerin zur Begründung ihres Anstellungsverhältnisses einzubringen.
Der Zulassungsausschuss für Ärzte bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen stellte mit Beschluss vom 20.05.2014 das Ende der Zulassung der Frau Dr. CI. zum 30.09.2014 infolge Verzichts fest. Hiergegen legte Frau Dr. CI. vorsorglich am 12.08.2014 Widerspruch gegen die Möglichkeit der Beendigung ihrer Zulassung nach dem 30.09.2014 ein, da sie in jedem Fall ihre Zulassung behalten wolle. Unter Datum vom 14.08.2014 erklärte sie, sie wolle auf die Zulassung nur unter Vorbehalt für den Fall der Genehmigung ihrer Anstellung verzichten.
Der Antragsgegner und Beklagte stellte mit Beschluss vom 10.09.2014 das Ende der Zulassung der Frau Dr. CI. zum 30.09.2014 fest.
Die Antragstellerin beantragte am 08.04.2014 die Anstellung der Frau Dr. CI. zum 01.10.2014.
Die zu 1) beigeladene Kassenärztliche Vereinigung Hessen empfahl, die Verlegung des Arztsitzes in den 15 km entfernten Standort in A-Stadt abzulehnen. Der Planungsbereich Mittelbereich A-Stadt sei im hausärztlichen Bereich mit 113,76 % gesperrt. Im Mittelbereich A-Stadt mit 401.673 Einwohnern seien 287 Hausärzte mit insgesamt 276,65 Versorgungsaufträgen zugelassen. Die Gemeinde B-Stadt mit seinen 10.019 Einwohnern (Stand: 31.12.2012) werde aktuell durch 9 Hausärzte mit jeweils einem vollen Versorgungsauftrag versorgt. Frau Dr. CI. sei im B-Stadt Ortsteil C-Stadt niedergelassen und sei hier die einzige Hausärztin. Die Entfernung von C-Stadt nach B-Stadt (Zentrum) betrage 7,4 km, während das südlich zu B-Stadt gelegene D-Stadt in 4,7 km zu erreichen sei. Bei B-Stadt und D-Stadt handele es sich um ländliche Flächengemeinden. Eine gute verkehrsbedingte Anbindung sowie eine Gewährleistung von Mobilität durch den öffentlichen Nahverkehr stünden nur eingeschränkt zur Verfügung. Von D-Stadt an den A-Stadt Hauptbahnhof benötige man mit dem ÖPNV mindestens eine Stunde bei mehrmaligem Umsteigen. Die Verbindungen seien zum Teil von dem Angebot der XXXXX abhängig. Es handele sich um ein vom Land Hessen abgestoßenes Pilotprojekt für den öffentlichen Nahverkehr in ländlichen Regionen. Eine Abrechnungsanalyse der in B-Stadt tätigen Hausärzte habe für die Quartale III/12 bis II/13 ergeben, dass Frau Dr. CI. selbst den hessischen Durchschnitt der Hausärzte in den genannten Quartalen unterschreite. Durchschnittlich werde der hessische Durchschnittswert von ihr um ca. 23 % (ca. 258 Fälle) unterschritten. Die Fallzahlen von 6 der 8 weiteren Hausärzte in B-Stadt unterschritten ebenfalls den hessischen Durchschnitt der Fachgruppe um durchschnittlich ca. 34 %. Im Gegensatz hierzu überschritten die zwei übrigen Hausärzte den hessischen Durchschnitt um ca. 39 %. Die Fallzahlen der zwei in D-Stadt tätige...