Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Anspruch auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens. Fortführungsfähigkeit der Praxis. fehlendes Praxissubstrat
Leitsatz (amtlich)
1. Fehlt es an der Fortführungsfähigkeit der Praxis aufgrund geringer Honorarumsätze und Fallzahlen, weshalb diese nicht zur Nachbesetzung ausgeschrieben wird, so ist es unerheblich, ob der Vertragsarzt nie beabsichtigt hat, den Versorgungsauftrag tatsächlich auszufüllen, oder lediglich äußere Umstände wie die Coronakrise einen Praxisaufbau verhindert haben. Maßgeblich für ein Nachbesetzungsverfahren ist allein der Umstand, ob objektiv ein nennenswertes Praxissubstrat vorliegt.
2. Bei einem fehlenden Praxissubstrat kommt es auch nicht darauf an, ob der Planungsbereich erneut geöffnet bzw teilentsperrt wird. Versorgungsgesichtspunkten wird gerade durch die Teilöffnung entsprochen.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Gerichtskosten und die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu tragen. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Der Streitwert wird auf 300.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Zulässigkeit eines Antrags auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens gem. § 103 Abs. 3a SGB V für den Vertragsarztsitz in C-Stadt, C-Straße mit hälftigem Versorgungsauftrag und hierbei insb. um die Frage, ob eine fortführungsfähige Praxis bestanden hat.
Der beklagte Zulassungsausschuss für Ärzte bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen ließ den Kläger nach Entsperrung des Planungsbereichs für einen vollen Vertragsarztsitz mit Beschluss vom 24.09.2019 zur vertragsärztlichen Tätigkeit für den Vertragsarztsitz C-Stadt, C-Straße, mit Wirkung zum 01.10.2019, beschränkt auf die Hälfte des Versorgungsauftrages nach § 19a Abs. 1 Ärzte-ZV, zu.
Der Kläger erklärte mit Datum vom 28.10.2020 den Verzicht auf seine Zulassung mit Wirkung zum 01.02.2021 unter dem Vorbehalt einer Nachfolgeregelung und beantragte die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens. Die Praxisübernahme sollte durch die MVZ IMD GmbH erfolgen.
Der Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 22.12.2020 mit, die Abfrage der Versorgungssituation im betreffenden Planungsbereich habe einen Versorgungsgrad von 114,12 % ergeben. Er könne die Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes ablehnen, wenn eine Nachbesetzung aus Versorgungsgründen nicht erforderlich sei. Nachdem die Fallzahlen des Klägers in den geprüften Quartalen durchschnittlich deutlich unterhalb des Fachgruppendurchschnitts gelegen hätten, habe er Bedenken hinsichtlich der Versorgungsrelevanz des Praxissitzes.
Der Kläger trug vor, wegen möglicher Konkurrentenwidersprüche habe er nach seiner Zulassung zunächst die Rechtsmittelfrist abgewartet. Der Beschluss vom 24.09.2019 sei ihm am 06.10.2019 zugegangen. Nach dem 06.11.2019 habe er die Tätigkeit aufgenommen und die Praxis eingerichtet. In der Anfangsphase seien kaum Patientenanfragen zu verzeichnen gewesen. Dies habe ihm geholfen, die Praxis auch in Bezug auf die notwendige Telematikinfrastruktur und Praxismanagementsoftware sorgfältig einzurichten. Bekanntlich habe dann die Coronakrise dazu geführt, dass Kontakte hätten eingeschränkt werden sollen. Dies sei besonders gut im Bereich elektiver ärztlicher Tätigkeiten umsetzbar gewesen. Hierzu zählten fast alle humangenetischen ärztlichen Leistungen. Da er zudem auch als Ärztlicher Leiter Führungsgruppe Katastrophenschutz gemeinnützig tätig gewesen sei, habe er es für angebracht gehalten, im ärztlichen Kollegenkreis nicht intensiv auf seine Praxis aufmerksam zu machen. So seien die Zuweisungen auf das Notwendigste/Dringendste beschränkt geblieben. Mitte September 2020 sei dann ein MVZ mit dem Angebot einer Praxisübernahme an ihn herangetreten, da junge fachärztliche Kollegen zur Anstellung bereitstünden. Er habe gleichzeitig ein Anstellungsangebot eines mit ihm seit längerem befreundeten Kollegen aus D-Stadt gehabt, was er ab 01.01.2021 in halber Stelle auch angenommen habe. Für die Praxis in C-Stadt bestehe ein großer Bedarf, der nur mangels Kenntnis der Kollegen noch nicht in den von ihm abgerechneten Fällen sichtbar geworden sei. Zudem sei es so, dass die Fälle aus dem Quartal 1 und 2 im Jahre 2020 erst als Nachzügler mit den Fällen aus dem 3. Quartal 2020 abgerechnet worden und somit in der Auswertung der Beigeladenen zu 1) noch nicht erschienen seien. In C-Stadt (und ganz Osthessen) gebe es außer seiner Praxis weder in Niederlassung noch an Kliniken einen Facharzt für Humangenetik. Die nächste humangenetische Praxis/Beratungsstelle finde sich in den weit entfernten Städten Bad Nauheim, Marburg oder Frankfurt. Der Niederlassungsort C-Stadt sei von ihm im Rahmen seines Zulassungsantrages unter dem Gesichtspunkt der bestmöglichen Verbesserung der Versorgungssituation in Hessen gewählt worden. Dabei habe er keinen Standort identifizieren können, der diesem Gesichtspunkt besser entspreche. C-Stadt habe zudem ein Klinikum der Maximalversorgung und weitere ...