Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsarztrecht
Leitsatz (amtlich)
1. Mit der Sammelerklärung wird erklärt, alle Leistungen ordnungsgemäß abgerechnet zu haben. Die Abrechnung von Leistungen an Tagen, an denen keine Tätigkeit vorliegt, erfüllt den objektiven Betrugstatbestand. Es steht nicht im Belieben eines Vertragsarztes, Leistungen abzurechnen und ggf. dann die Absetzung dieser Leistungen hinzunehmen. Es handelt sich nicht um Fälle einer Verkennung der Leistungslegende oder um Zweifel bei der Auslegung von Abrechnungsnormen, sondern um eine von vornherein und vollständig falsche Abrechnung.
2. Es gibt keinerlei Grund, insb. nicht im Ärztlichen Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung, Versichertenkarten vor oder unabhängig von einer konkret anstehenden Behandlung einzulesen.
Tenor
1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Der Kläger hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.
3. Der Streitwert wird festgesetzt
für das Verfahren zum Az.: S 12 KA 315/19 auf 138.954,72 € und
für das Verfahren zum Az.: S 12 KA 316/19 auf 35.000,00 €.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um Honorarrückforderungen in Höhe von insgesamt 138.954,72 € aufgrund von patientenbezogenen und ergänzenden Plausibilitätsprüfungen der ÄBD-Honorarabrechnungen der sieben Quartale I/12 bis III/13 im ÄBD-Bezirk C-Stadt (BSNR xxx1) und ÄBD-Bezirk A-Stadt (BSNR xxx2) sowie - mit Ausnahme des Quartals IV/12 - im ÄBD-Bezirk D-Stadt (BSNR xxx3).
Der Kläger ist Facharzt für Allgemeinmedizin und war mit Einzelpraxis im hausärztlichen Versorgungsbereich in A-Stadt zugelassen. Seit 01.09.2008 betreibt er mit Herrn E., Facharzt für Innere Medizin, ebf. zugelassen für den hausärztlichen Bereich, eine Berufsausübungsgemeinschaft in A-Stadt.
Die Beklagte setzte aufgrund implausibler Abrechnung in den Vorquartalen I/09 bis IV/10 gegen die Berufsausübungsgemeinschaft des Klägers eine Honorarrückforderung in Höhe von 538.739,39 € fest. In der mündlichen Verhandlung zum Aktenzeichen S 16 KA 447/14 vor der 16. Kammer des SG Marburg verglichen sich die Beteiligten auf eine reduzierte Rückforderungssumme in Höhe von 363.044,04 €. Hintergrund war, dass die Berufsausübungsgemeinschaft einen Weiterbildungsassistenten nicht hinreichend berücksichtigt hatte. Die Klage der Berufsausübungsgemeinschaft gegen eine Rückforderung aus einer zeitbezogenen Plausibilitätsprüfung bezüglich der fünf Quartale I/11 bis I/12 in Höhe von 650.509,01 € wies die Kammer mit Gerichtsbescheid vom 06.04.2021 - S 12 KA 119/18 - (Berufung anhängig: LSG Hessen - L 4 KA 22/21) ab. Die Beklagte setzte aufgrund implausibler Abrechnung in den Quartalen I bis III/08 in Bezug auf die Tätigkeit im Ärztlichen Bereitschaftsdienst gegen den Kläger eine Honorarrückforderung in Höhe von 70.813,85 € fest. SG Marburg, Urteil v. 21.07.2017 - S 16 KA 446/14 - hob die Honorarrückforderung für das Quartal II/08 (25.567,50 €) auf und wies im Übrigen die Klage ab (Berufung anhängig: LSG Hessen - L 4 KA 46/17). Die Beklagte setzte für die Quartale IV/08 - IV/10 in Bezug auf die Tätigkeit des Klägers im Ärztlichen Bereitschaftsdienst eine weitere Honorarrückforderung in Höhe von 651.035,66 € fest. SG Marburg, Urteil v. 21.07.2017 - S 16 KA 362/15 - wies die Klage ab (Berufung anhängig: LSG Hessen - L 4 KA 47/17). Die Klage gegen eine weitere sachlich-rechnerische Honorarberichtigung wegen implausibler Honorarabrechnungen in den Quartalen I/11 bis IV/11 in Bezug auf seine Tätigkeit im Ärztlichen Bereitschaftsdienst in Höhe von 73.136,77 € wies die Kammer mit Gerichtsbescheid vom 13.02.2019 - S 12 KA 601/17 - (Berufung anhängig: LSG Hessen - L 4 KA 8/19) ab. Die Klage gegen die Zulassungsentziehung des Klägers wies SG Marburg, Gerichtsbescheid vom 06.04.2021 - S 12 KA 116/19 - (Berufung anhängig: LSG Hessen - L 4 KA 21/21) ab.
In den streitbefangenen Quartalen I/12 bis III/13 setzte die Beklagte durch Honorarbescheid das Honorar des Klägers quartalsweise und bezogen auf den jeweiligen ÄBD-Bezirk fest.
Die Beklagte führte für die streitbefangenen Quartale eine patientenbezogene und ergänzende Plausibilitätsprüfung durch.
Die Beklagte hob mit Bescheid vom 12.07.2016 die Honorarbescheide für die streitbefangenen Quartale und ÄBD-Bezirke auf und setzte die strittigen Honorarrückforderungen für die Quartale I/12 bis III/13 fest, insgesamt auf 138.954,72 €. Im Einzelnen entfielen auf die streitbefangenen Quartale folgende Honorarrückforderungen:
|
Quartal |
Honorar in € |
I/12 |
22.102,26 |
II/12 |
11.530,11 |
III/12 |
14.761,55 |
IV/12 |
31.832,78 |
I/13 |
27.374,65 |
II/13 |
17.631,34 |
III/13 |
13.722,03 |
gesamt |
138.954,72 |
Zur Begründung führte sie aus, die vorliegende Plausibilitätsprüfung sei eine anlassbezogene Prüfung. Der konkrete Hinweis auf Abrechnungsauffälligkeiten ergebe sich primär aus der quartalsweise auffallend hohen Patientenzahl im Ärztlichen Bereitschaftsdienst neben der umfangreichen, zeitauffälligen Praxistätigkeit sowie der auffällig hohen Patientenidentität zwischen der BAG des Klägers und seiner Tätigkeit im ÄBD. Neben den m...