Entscheidungsstichwort (Thema)
Rehabilitation für Menschen mit Behinderung: Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Hochschulausbildung als Rehabilitationsleistung. Ermessensreduzierung auf Null bei der Entscheidung über eine konkrete Hochschulausbildung als Rehabilitationsleistung. Fortführung einer Untätigkeitsklage als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage
Orientierungssatz
1. Ein Rehabilitationsträger muss im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für einen Menschen mit Behinderung eine konkrete Hochschulausbildung (hier: Ausbildung zum Diplom-Betriebswirt (FH)) jedenfalls dann nicht bewilligen, wenn der Betroffene bereits mehrere Hochschulausbildungen ohne Abschluss abgebrochen hat. Vielmehr kann der Rehabilitationsträger in diesem Fall zunächst den Rehabilitationsbedarf und die Eignung zur angestrebten Ausbildung feststellen lassen.
2. Wurde eine Untätigkeitsklage nach Erlass des begehrten Bescheides im Wege der sachdienlichen Klageänderung auf eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage umgestellt, muss das gegen den Bescheid notwendige Widerspruchsverfahren bis zur Verkündigung der Entscheidung im sozialgerichtlichen Verfahren abgeschlossen sein. Andernfalls ist die Klage unzulässig.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligen haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Teilhabe am Arbeitsleben in Form einer Berufsförderung im Berufsförderungswerk D-Stadt oder E-Stadt.
Der 1970 geborene Kläger erlitt im Jahr 1991 einen Sportunfall mit einer Knieverletzung. Im Jahr 1994 erlitt er Schädigungen durch einen Autounfall. Er leidet an verschiedenen Behinderungen, u.a. einer funktionellen Blindheit des rechten Auges bei angeborenem Schielfehler mit fehlendem räumlichen Sehvermögen, ferner einem ständigen Hochtontinnitus beidseits, einem HWS-Syndrom, einer Kreuzbandinstabilität des rechten Kniegelenks und an Verschleißerscheinungen am linken Kniegelenk. Nach dem Abitur 1991 nahm er zunächst ein Lehramtsstudium mit den Fächern Geographie und Chemie auf. Nach vier Semestern tauschte der Kläger das Fach Chemie gegen das Fach Politik aus. Im Wintersemester 1996/1997 brach der Kläger dieses Studium ab und begann im Folgenden ein Studium der Rechtswissenschaften, das er zeitweise unterbrach und letztlich nicht mit einem Abschluss beendete.
Der Kläger erhält seit dem 01.01.2005 durchgehend Leistungen nach dem SGB II.
Mit Schreiben vom 20.04.2011 forderte der Kläger den Beklagten auf, seinen Anspruch auf Teilhabe am Arbeitsleben zu erfüllen und unverzüglich die notwendigen Leistungen zu erbringen. Er beantragte seine Anmeldung im Berufsförderungswerk D-Stadt bzw. E Stadt zur Abklärung seines Rehabilitationsbedarfs.
Unter dem Aktenzeichen: L 6 AS 8/08 erfolgte in der Öffentlichen Sitzung des 6. Senats des Hessischen Landessozialgerichts am 13.07.2011 zwischen den Beteiligten eine Teilerledigung durch Annahme eines Teilanerkenntnisses des Beklagten dahingehend, dass der Beklagte "einen Anspruch auf berufliche Rehabilitation" unstreitig gestellt und "dem Grunde nach" anerkannt hat.
Am 22.12.2011 erhob der Kläger unter dem Aktenzeichen: S 8 AS 389/11 eine weitere Klage bei dem SG Marburg und beantragte, über seinen Antrag vom 20.04.2011 auf Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben einen neuen Bescheid zu erteilen und gemäß dem Teilanerkenntnis im Verfahren: L 6 AS 8/08 Leistungen in Form einer Erstausbildung im Berufsförderungswerk in D-Stadt oder E-Stadt zu gewähren. Gleichzeitig stellte er einen Folgenbeseitigungsantrag.
Der Kläger lehnte ein Vergleichsangebot des Beklagten, eine Berufsfindungsmaßnahme inklusive Arbeitserprobung bei dem Berufsförderungswerk F-Stadt zu gewähren, ab.
Mit Bescheid vom 06.03.2012 lehnte der Beklagte die Anträge des Klägers auf Bewilligung einer Ausbildung zum Diplom-Betriebswirt (FH) beim Berufsförderungswerk D-Stadt sowie auf Anmeldung beim Berufsförderungswerk D-Stadt bzw. E-Stadt zur Abklärung des Rehabilitationsbedarfs ab. Die beantragte Bewilligung einer Ausbildung zum Diplom-Betriebswirt (FH) beim Berufsförderungswerk D-Stadt sei abzulehnen, da aktuell der Rehabilitationsbedarf sowie die Eignung des Klägers festzustellen sei. Ferner bestehe kein Anspruch auf eine ganz bestimmte Reha-Ausbildung und die Maßnahme sei zur Sicherung der Teilhabe am Arbeitsleben des Klägers auch nicht unerlässlich. Der Antrag auf Anmeldung beim Berufsförderungswerk D-Stadt bzw. E-Stadt zur Abklärung des Rehabilitationsbedarfs sei abzulehnen, weil nicht allein dort geeignete Leistungen der beruflichen Rehabilitation angeboten würden. Die Abklärung könne ebenso gut in einem näher gelegenen Berufsförderungswerk erfolgen.
Soweit Untätigkeit bzw. Bescheidung begehrt wurde, sind die Anträge teilweise zurückgenommen worden. Im Übrigen wurden die Anträge auf materielle Leistungen, das heißt auch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben konkret in Form einer Maßnahme im Berufsförderungswerk D-Stadt oder E-Stadt weiter verfolgt.
Die Prozessbe...