Entscheidungsstichwort (Thema)
Kassenärztliche Vereinigung. Honorarverteilungsvertrag. Ermächtigung des Vorstands zur Vornahme praxisbezogener Änderungen. Fachgruppe mit atypischem Versorgungsbedarf. Ermessensentscheidung über Ausnahme von den Regelleistungsvolumina. Vorliegen eines atypischen Ausnahmefalls
Leitsatz (amtlich)
1. In einem Honorarverteilungsvertrag kann ein Vorstand einer Kassenärztlichen Vereinigung ermächtigt werden, aus Gründen der Sicherstellung der ärztlichen und psychotherapeutischen Versorgung praxisbezogenen Änderungen an den arztgruppenspezifischen Fallpunktzahlen (Regelleistungsvolumina) vorzunehmen.
2. Eine Ungleichbehandlung und damit ein Verstoß gegen den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit kann dann vorliegen, wenn die Praxis einen zur Fachgruppe atypischen Versorgungsbedarf abdeckt. In diesem Fall ist eine Ermessensentscheidung über eine Ausnahme zu den Regelleistungsvolumina zu treffen. Es ist unzulässig, einen Vertragsarzt von vornherein darauf zu verweisen, er könne auf seine Spezialisierung verzichten.
3. Bei einer im Wesentlichen chirurgischen Praxis, bei der von den Leistungen, die in das Regelleistungsvolumen einbezogen werden, über 30 % jeweils im Bereich der Proktologie und im Bereich der Koloskopie erbracht werden, bzw. bei einem Leistungsanteil dieser Bereiche von zusammen von über 45 % an allen abgerechneten Leistungen, liegt ein atypischer Ausnahmefall vor.
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Zuerkennung einer Sonderregelung für das Regelleistungsvolumen in den Quartalen II/05 bis II/06.
Die Klägerin ist eine seit dem 01.01.2003 bestehende Gemeinschaftspraxis in A-Stadt (X-zentrum Mittelhessen). Herr Dr. med. C war bis zum 28.04.2003 als Facharzt für Allgemeinmedizin hausärztlich tätig und ist gemäß Beschluss des Zulassungsausschusses seit dem 29.04.2003 zur ausschließlichen Teilnahme an der fachärztlichen Versorgung für das Fachgebiet Chirurgie zugelassen. In diesem Zusammenhang wurde ihm die Abrechnungsgenehmigung u.a. für die Leistungen nach den Ziffern 01740 bis 01742 und 30600 und 30601 EBM 2005 erteilt. Herr Dr. med. D und Herr Dr. med. E sind als Fachärzte für Chirurgie zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Sie sind berechtigt, Leistungen aus Kapitel 30.6 EBM 2005 (Proktologie) abzurechnen. Herr Dr. med. E ist ferner berechtigt, Koloskopien abzurechnen. Herr. Dr. med. F ist als Facharzt für Allgemeinmedizin zugelassen und nimmt an der hausärztlichen Versorgung teil. Er ist berechtigt, Leistungen nach den Ziffern 30610 und 30611 EBM 2005 (Behandlung und Entfernung von Hämorrhoiden) und Prokto-/Rektoskopische Untersuchungen nach den Ziffern 03331 EBM 2005 sowie den Zuschlag zu dieser Leistung für die Polypenentfernung nach der Ziffer 03332 EBM 2005 abzurechnen, die im Leistungsinhalt der Ziffern 30600 und 30601 EBM 2005 entsprechen.
Die Klägerin beantragte am 04.12.2006 für die Abrechnungsquartale ab dem Quartal III/05 die Erteilung eines gesonderten Fallpunktvolumens, welches im Rahmen der Sicherstellung proktologischer Leistungen auf das Regelleistungsvolumen aufgesattelt werden solle. Ein entsprechender Antrag werde von ihrem A-Kooperationspartner eingereicht. Der Umfang, in dem andere Leistungserbringer proktologische Leistungen abrechneten, sei eher als gering einzustufen. Der Aspekt der Sicherstellung habe auch einen quantitativen Aspekt. Die Indikationsstellung zur konservativen Therapie proktologischer Erkrankungen werde umso effizienter und vermeide Therapieverschleppungen, wenn im gleichen spezialisierten Zentrum auch das Spektrum der operativen Verfahren überblickt und bereitgestellt werde. Für die Therapiesicherheit spiele die Erfahrung in der Methode eine wesentliche Rolle. Das Sonderbudget Proktologie solle in Anlehnung an das qualifikationsgebundene gelbe Zusatzbudget des alten EBM (420 Fallpunkte) gestaltet werden.
Mit Bescheid vom 08.01.2007 lehnte die Beklagte den Antrag ab.
Zur Begründung führte sie aus, die Gemeinschaftspraxis sei abrechnungstechnisch den voll zugelassenen Chirurgen (VfG-VTG17-00) zugeordnet. In den vorangegangenen Quartalen III/03 bis II/04 sei auf der Grundlage des seinerzeit gültigen Honorarverteilungsmaßstabes eine Sonderregelung gewährt worden. Die Leistungen des ehemaligen bedarfsabhängigen Zusatzbudgets “Proktologie„ seien für die Quartale III und IV/03 vollständig anerkannt worden. Diese Honorarforderung aus dem Quartal IV/03 sei für das Quartal I/04 und aus dem Quartal III/03 für das Quartal II/04 als Bemessungsgrundlage zugrunde gelegt worden. Für die Quartale III/04 bis I/05 sei diese Sonderregelung insoweit fortgeführt worden, als das Quartal III/03 als Vergleichsbasis für das Quartal III/04 und das Quartal IV/03 als Vergleichsbasis für das Quartal IV/04 und I/05 herangezogen worden sei. Der Antrag auf Erhöhung des Regelleistungsvolumens für das Quartal II/05 sei abgelehnt worden. Gemäß Ziffer 6.3 des Honorarverteilungsvertrages...