Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Gründung einer Zweigpraxis. Orthopäde mit Zusatzbezeichnung Chirotherapie. Entfernung von 10 km zum Hauptpraxissitz. keine Versorgungsverbesserung. behindertengerechte Ausgestaltung der Zweigpraxisräume hat keinen Einfluss auf Versorgungsverbesserung. Abstellen des Gesetzgebers ausschließlich auf Versorgungsgesichtspunkte und nicht primär auf verbesserte Marktchancen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Gründung einer Zweigpraxis eines Orthopäden mit der Zusatzbezeichnung Chirotherapie in einer Entfernung von 10 km vom Hauptpraxissitz bedeutet keine Versorgungsverbesserung iS des § 24 Abs 3 S 1 Ärzte-ZV idF d VÄndG.

2. Auf eine behindertengerechte Ausgestaltung der Zweigpraxisräume ist nicht abzustellen, weil es für die Beurteilung einer Versorgungsverbesserung ausschließlich auf das zu behandelnde Krankheitsspektrum der Patienten ankommt und keine Verpflichtung der Krankenkassen besteht, den Zugang zu den Praxisräumen zu gewährleisten.

3. Mit dem Tatbestandsmerkmal der Versorgungsverbesserung stellt der Gesetzgeber ausschließlich auf Versorgungsgesichtspunkte ab und damit nicht primär auf verbesserte "Marktchancen" des einzelnen Vertragsarztes. Wettbewerbsmöglichkeiten sollten damit nicht eröffnet werden.

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Genehmigung einer Zweigpraxis in D-Stadt bei einem Praxissitz in A-Stadt.

Die Klägerin ist eine Gemeinschaftspraxis. Sie besteht aus zwei Fachärzten für Orthopädie, die zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen sind und die berechtigt sind, die Zusatzbezeichnungen Chirotherapie und Sportmedizin zu führen. Sie sind ferner Belegärzte am Krankenhaus A-Stiftung in A-Stadt.

Die Klägerin stellte mit Datum vom 03.04.2009 einen Antrag auf Genehmigung einer Zweigpraxis in der D-Straße in D-Stadt. Sie gab an, sie wolle die Tätigkeit am 01.07.2009 aufnehmen, die Sprechzeiten am Freitag von 14:00 - 16:00 Uhr durchführen. Die Zweigpraxis solle durch Dr. A. geführt werden. Die Versorgung am Hauptort sei durch Dr. B. sichergestellt. Die Tätigkeit diene der Verbesserung durch spezielle Untersuchungs- und Behandlungsleistungen, nämlich die Durchführung chirotherapeutischer Leistungen.

Die Beklagte nahm eine Befragung der Fachärzte für Orthopädie im Planungsbereich der Zweigpraxis, dem Landkreis A-Stadt, vor. Von den sieben angeschriebenen Praxen antworteten vier.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid 08.07.2009 den Antrag auf Erteilung einer Zweigpraxisgenehmigung ab. Zur Begründung führte sie aus, es lägen die notwendigen Voraussetzungen zur Genehmigung einer Nebenbetriebsstätte (Zweigpraxis) nicht vor. Eine Verbesserung der Versorgungssituation könne nicht gesehen werden, da sich - außer der eigenen Praxis der Klägerin - in D-Stadt (3,17 km bis E-Stadt), A-Stadt (9,311 km), F-Stadt (17,92 km) und G-Stadt (15,64 km) fünf orthopädische Praxen und zwei MVZ___AMPX_’_SEMIKOLONX___Xs (insgesamt 16 Fachärzte für Orthopädie) befänden, wovon acht Orthopäden eine Genehmigung zur Durchführung chirotherapeutischer Leistungen hätten, durch die die Leistungen abgedeckt würden. Von diesen Fachärzten für Orthopädie mit Genehmigung zur Durchführung chirotherapeutischer Leistungen hätten sieben noch freie Kapazitäten gemeldet. Auch nach neuer Regelung des Vertragsarztrechts sei Verbesserung wenigstens in dem Sinne zu verstehen, dass eine “Bedarfslücke„ bestehe, die nachhaltig eine durch Angebot oder Erreichbarkeit veränderte und im Sinne der vertragsärztlichen Versorgung verbesserte Versorgungssituation herbeiführe. Eine Lücke in der Versorgung lasse sich nicht erkennen.

Hiergegen legte die Klägerin am 20.07.2009 Widerspruch ein. Sie führte aus, die Beklagte habe in keiner Weise die Struktur des öffentlichen Nahverkehrs berücksichtigt. So liege eine Bushaltestelle direkt vor ihrer Praxis. Die Beklagte habe auch nicht berücksichtigt, dass aufgrund einer vorhandenen Kooperation zur Benutzung der Praxisräume der Gemeinschaftspraxis H. behinderte Patienten behandelt werden könnten, da ein entsprechender Zugang zu deren Praxis vorhanden sei. Die Interessen bereits niedergelassener Vertragsärzte seien nicht zu berücksichtigen. Sie verweise ausdrücklich auf das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom Mai 2008 (S 12 KA 403/07).

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 07.10.2009 den Widerspruch als unbegründet zurück. Im Widerspruchsbescheid führte sie aus, eine “Verbesserung der Versorgungssituation„ liege nicht schon dann vor, wenn in einem Ort eine zusätzliche Zweigpraxis eröffnet werde, und damit den Patienten eine größere Auswahl unter den Ärzten zur Verfügung stehe (Freiheit der Arztwahl). Außerdem setze die “Verbesserung der Versorgung„ nicht voraus, dass in jedem Ort alle ärztlichen Leistungen angeboten würden. Vielmehr seien den Versicherten Entfernungen von mehreren Kilometern bis zur nächsten Praxis zumutbar. Der Gesetzgeb...

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