Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenerstattung. Hilfsmittelversorgung. Notwendigkeit der Ausstattung mit einem Behindertendreirad
Leitsatz (amtlich)
1. Die Frage der Kostenübernahme für ein Behindertendreirad ist eine Einzelfallentscheidung.
2. Im Einzelfall kann ein Behindertendreirad notwendig sein, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen, insbesondere dann, wenn eine kausale Therapie gerade nicht zur Verfügung steht.
3. Wenn das Behindertendreirad der Erhaltung der Gehfähigkeit dient und andere Therapieformen nicht den gleichen Erfolg versprechen, erfüllt dies den Tatbestand des § 33 Abs 1 S 1 Alt 2 SGB 5.
Tenor
Der Bescheid vom 7.3.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2007 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Kosten für das Behindertendreirad der Klägerin in Höhe von 2.300€ zu übernehmen.
Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme in Höhe von 2.300€ für die Neuversorgung der Klägerin mit einem Behindertendreirad. Die 1965 geborene Klägerin leidet unter einer infantilen Cerebralparese, die mit einer Tetraspastik mit Lähmung beider Beine einhergeht. Die Klägerin erhält Pflegegeld nach der Pflegestufe I. Sie ist mit einem handbetriebenen Rollstuhl sowie mit einem Elektrorollstuhl versorgt und macht regelmäßig Krankengymnastik. Die Klägerin benutzt zusätzlich bereits seit ihrem 16. Lebensjahr ein Behindertendreirad, das bisher jeweils von der Krankenkasse finanziert wurde. Da das alte Modell aus dem Jahr 1995 nicht mehr funktionsfähig war, beantragte sie mit Schreiben vom 23.02.2007 die Kostenübernahme für ein Ersatzgerät. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07.03.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2007 ab, so dass die Klägerin die Anschaffung zunächst privat finanzierte. Zur Begründung ihrer Ablehnung führte die Beklagte aus, dass das Radfahren bei Erwachsenen nicht zu den elementaren Grundfunktionen und auch nicht zu den Grundbedürfnissen, für deren Sicherstellung die gesetzliche Krankenversicherung einzustehen habe, gehöre. Die Versorgung mit einem handbetriebenen Rollstuhl sei als Fortbewegungshilfe ausreichend. Deshalb sei eine medizinische Notwendigkeit für die Versorgung mit einem Dreirad nicht gegeben. Die Beklagte berief sich insoweit auf das vom MDK im Widerspruchsverfahren erstellte Gutachten vom 14.06.2007.
Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage.
Die Klägerin trägt vor, dass das Dreirad zur Aufrechterhaltung ihrer Gehfähigkeit zwingend erforderlich sei. Nur so könne der Muskeltonus regelmäßig reguliert und die Koordinationsfähigkeit geschult werden. Andere Therapieformen oder Hilfsmittel seien nicht gleich effizient. Die Klägerin stützt ihre Auffassung auf die medizinischen Feststellungen von Dr. A., in seinem Befundbericht vom 05.05.2006 sowie von Prof. A., Universitätsklinikum M., der in seinen Befundberichten vom 07.11.2003, 12.09.2005 und 21.04.2008 jeweils darlegte, dass es zur Erhaltung der Gehfähigkeit der Klägerin neben dem Therapiedreirad keine Alternativen gebe.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 07.03.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Kosten für das Therapiedreirad in Höhe von 2.300,00 Euro zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie weist darauf hin, dass zum Ausgleich der Behinderung das Dreirad nicht erforderlich sei. Es stünden im Rahmen der vertragsärztlichen Heilmittelverordnung wesentlich gezieltere, vielseitigere und wirtschaftlichere Behandlungsmaßnahmen zur Verfügung, die gleichermaßen als ausreichend, zweckmäßig und sachgerecht einzuschätzen seien. Insbesondere komme ein Heim- oder Bewegungstrainer als kostengünstigeres Hilfsmittel in Betracht. Nicht zuletzt sei das Dreirad als Gebrauchsgegenstand anzusehen und schon deshalb von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nicht umfasst.
Wegen der medizinischen Unterlagen, der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend Bezug genommen auf die Prozessakten und die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist auch begründet.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Versorgung mit einem Behindertendreirad und entsprechende Kostenübernahme durch die Beklagte. Der Bescheid vom 07.03.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2007 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Die Voraussetzungen für einen Kostenerstattungsanspruch der Klägerin aus § 13 Abs. 3 SGB V sind erfüllt. Die Klägerin hat die Kosten für das begehrte Therapiedreirad in Höhe von 2.300€ gegenüber der Firma tri-mobil beglichen. Ihr Anspruch richtet sich daher auf Kostenübernahme durch die Beklagte. Grundvoraussetzung des Kostenerstattungsansp...