Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsentziehung wegen fehlender Mitwirkung. Mitwirkungspflichten neben Sanktionsregelungen. Nachweis der Hilfebedürftigkeit. dreimaliges Meldeversäumnis
Leitsatz (amtlich)
1. Die Sanktionsregelungen nach §§ 31 ff SGB II verdrängen die Vorschriften zur Mitwirkung nach §§ 60 ff SGB I nicht. Dies gilt auch für Meldesanktionen nach § 32 SGB II.
2. Eine Entziehung von Arbeitslosengeld II hat ua gemäß § 66 Abs 1 S 1 SGB I zur Voraussetzung, dass "die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind". Aus einem dreimaligen unentschuldigten Meldeversäumnis folgt nicht automatisch, dass die Hilfebedürftigkeit nicht (mehr) nachgewiesen ist.
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Entziehungsbescheid vom 7. März 2019 wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich im Eilverfahren gegen einen Bescheid, mit dem Arbeitslosengeld II nach § 66 SGB I wegen mangelnder Mitwirkung entzogen wurde.
Dem 1981 geborenen Antragsteller wurde mit Bescheid vom 29.11.2018 Arbeitslosengeld II für die Zeit von Oktober 2018 bis einschließlich September 2019 in Höhe von monatlich 986,- Euro bewilligt. Die tatsächliche Miete von 570,- Euro war als Bedarf berücksichtigt. Mit Änderungsbescheid vom 13.12.2018 wurde die Leistung ab Januar 2019 auf monatlich 994,- Euro angehoben. Im Februar 2017 hatte er eine selbständige Tätigkeit (Betreuung von Veranstaltungen, Einbau Fenster/Türen/Regale, Auf- und Abbau von Zelten, Durchführung von Umzügen) abgemeldet.
Mit Bescheid vom 16.01.2019 erfolgte eine Sanktion in Höhe von 10 % des Regelbedarfs, weil der Antragsteller zum Meldetermin am 20.12.2018 ohne Begründung nicht erschienen war. Mit Bescheid vom 11.02.2019 erfolgte eine weitere Sanktion in Höhe von 10 % des Regelbedarfs, weil der Antragsteller zum Meldetermin am16.01.2019 nicht erschienen war. Mit Bescheid vom 27.02.2019 erfolgte nochmals eine Sanktion in Höhe von 10 % des Regelbedarfs, weil der Antragsteller zum Meldetermin am 30.01.2019 nicht erschienen war.
Mit Schreiben vom 27.02.2019 wurde der Antragsteller aufgefordert, am 07.03.2019 gemäß § 61 SGB I zur Abklärung der Hilfebedürftigkeit als Anspruchsvoraussetzung persönlich zu erscheinen. Aufgrund der drei vorangegangenen Sanktionen wegen Meldeversäumnissen bestünden erhebliche Zweifel an der Hilfsbedürftigkeit und der Leistungsberechtigung des Antragstellers. Wenn der Antragsteller nicht erscheine, würden die Leistungen wegen fehlender Mitwirkung zum 31.03.2019 entzogen. Der Antragsteller erschien nicht. Mit Bescheid vom 07.03.2019 einzog der Antragsgegner die Leistungen ab 31.03.2019. Ermessen werde ausgeübt. Der Antragsgegner sei verpflichtet, wirtschaftlich zu handeln. Gesichtspunkte zu Gunsten des Antragstellers seien weder erkennbar noch vorgebracht. Der Antragsteller legte dagegen am 22.03.2019 Widerspruch ein.
Am 04.04.2019 stellte der Antragsteller beim Sozialgericht München einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs. Eilbedürftigkeit liege vor, der Antragsteller könne die Miete nicht bezahlen und kein Essen kaufen. Der Antragsteller sei vorher nicht angehört worden. Das Ermessen sei nicht richtig ausgeübt worden. Das Aufforderungsschreiben vom 27.02.2019 sei nicht zugegangen. Auf Nachfrage des Gerichts räumte der Antragsteller ein, dass ihm das Schreiben vom 27.02.2019 doch zugegangen sei. Eine Entziehung nach § 66 SGB I sei nicht möglich, weil § 32 SGB II eine vorrangige und speziellere Vorschrift sei. Durch das Versäumen der Meldetermine habe sich an den Leistungsvoraussetzungen nichts geändert. Der Antragsteller sei nach Trennung von seiner Familie psychischen ein tiefes Loch gefallen und könne nur die allernotwendigsten Dinge tun, nicht aber einen Meldetermin wahrnehmen.
Aus dem im Eilverfahren vorgelegten Kontoauszug ergibt sich, dass der Antragsteller am 01.02.2019 von seinem Konto 370,- Euro abgehoben hat und am selben Tag 420,- Euro auf dasselbe Konto eingezahlt hat. Anschließend hat er zwei Überweisungen in Höhe von zusammen 411,16 Euro vorgenommen. Es handelt sich um eine Zahlung an die Bahn (laut Antragsteller wegen Schwarzfahrens) und eine Zahlung auf Stromschulden. Abhebungen für den Lebensunterhalt erfolgten im Februar 2019 nicht.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Entziehungsbescheid vom 07.03.2019 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.
Der Antragsgegner verweist auf, dass nach der Rechtsprechung des BSG, Urteil vom 29.04.2015, B 14 AS 19/14 R, nicht beliebig viele Meldesanktionen verhängt werden könnten. Nach einer Mehrzahl erfolgloser Einladungen müsse das Jobcenter die Sachlage überprüfen und seine Strategie ändern. Dies sei durch den Entziehungsbescheid geschehen. Das Ermessen sei ordnungsgemäß ausgeübt worden.
II.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ist anzuordnen, weil erh...