Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Honorarkürzung nach § 291 Abs 2b S 9 SGB 5. Rechtmäßigkeit der Verpflichtung zur Teilnahme an der Telematikinfrastruktur. Vereinbarkeit mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO. juris: EUV 2016/679). Gewährleistung der Datensicherheit. Datenverarbeitungsprozess auf niedrigster Stufe. keine Verpflichtung zur gemeinsamen Verantwortlichkeit nach Art 26 Abs 1 S 2 DSGVO. kein Verstoß gegen die Berufsfreiheit
Leitsatz (amtlich)
1. Die Honorarkürzung nach § 291 Abs 2b S 9 SGB V ist nur dann rechtmäßig, wenn die Verpflichtung zur Teilnahme an der Telematikinfrastruktur ihrerseits rechtmäßig ist. Dies setzt insbesondere voraus, dass die Regelungen über die Telematikinfrastruktur mit höherrangigem Recht, insbesondere der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) zu vereinbaren sind (vgl hierzu Entscheidungen des BSG vom 20.1.2021 - B 1 KR 7/20 R = BSGE 131, 169 = SozR 4-2500 § 291a Nr 2 und des SG Stuttgart vom 27.1.2022 - S 24 KA 166/20).
2. Zu den wichtigsten zu beachtenden Regelungen in der DSGVO gehört die Sicherheit der Daten. Nach Art 5 Abs 1 Buchst f DSGVO müssen die Daten in einer Weise verarbeitet werden, die eine angemessene, nicht aber eine absolute Sicherheit der personenbezogenen Daten gewährleistet. Die Verarbeitung von Daten in den Quartalen des Jahres 2019 beschränkt sich auf einen Online-Abgleich von Daten (§ 291 Abs 2b S 3 SGB V). Es handelt sich um einen Verarbeitungsprozess auf niedrigster Stufe. Je umfangreicher und personenbezogener Daten aber sind, die verarbeitet werden, umso höhere Anforderungen sind an die Datensicherheit zu stellen.
3. Durch die vom Gesetzgeber vorgesehenen Kontrollmechanismen der Gematik (insbesondere durch das BSI und die/den BfDI) ist ein Höchstmaß an Datensicherheit gewährleistet. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber zur Beobachtung und falls erforderlich zur Nachbesserung verpflichtet ist.
4. Die Regelungen des §§ 291 ff SGB V sind auch mit den allgemeinen Grundsätzen der DSGVO (Art 4, 5, 6) vereinbar.
5. Der Gesetzgeber ist nicht verpflichtet, der Gematik eine gemeinsame Verantwortlichkeit nach Art 26 Abs 1 S 2 DSGVO zuzuweisen. Abgesehen davon wären zahlreiche Individualvereinbarungen zwischen den einzelnen Mitverantwortlichen erforderlich, was so nicht umsetzbar ist.
6. Die Regelungen über die Telematikinfrastruktur (§§ 291 ff SGB V) verstoßen nicht gegen Art 12 Grundgesetz.
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger, der als Vertragszahnarzt zugelassen ist, wendet sich gegen die mit dem angefochtenen Ausgangsbescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheids vorgenommenen Honorarkürzungen in den Quartalen 1/19 - 3/19 in Höhe von 1 % ( = 689,52€) wegen Nichtteilnahme an der Telematikinfrastruktur (TI). Zur Begründung der Kürzung wurde auf die Rechtsgrundlage des § 291 Abs. 2b Satz 3 und 4 SGB V (Anmerkung: genannte §§ SGB V ohne Zusatz sind solche, die in den strittigen Quartalen galten oder nach wie vor gelten) hingewiesen. Die Teilnahme an der Telematikinfrastruktur (Online-Abgleich der Versichertenstammdaten) sei für die Zahnärzte verpflichtend. Ein Verstoß gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) liege nicht vor. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 20.01.2021 (Az B 1 KR 7/20 R, B 1 KR 15/20 R) mit der rechtlichen Fragestellung, inwiefern ein gesetzlich Versicherter zur Nutzung der elektronischen Krankenversicherungskarte verpflichtet ist, sei auf die Verpflichtung des Vertrags(-zahn)arztes zur Anbindung an die TI vollumfänglich übertragbar. Auch gebe es keine datenschutzrechtlichen Bedenken. Datenschutz und Datensicherheit seien gewährleistet. Die im Rahmen der TI einzusetzenden Komponenten und Dienste bedürften der Zulassung durch die Gematik. Der Nachweis der Sicherheit erfolge nach den Vorgaben des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) durch eine Sicherheitszertifizierung. Die Verantwortlichkeit der Vertragsärzte für die Verarbeitung der Gesundheitsdaten der Versicherten mittels der durch sie genutzten Komponenten der dezentralen Infrastruktur ergebe sich aus § 307 SGB V. Eine Datenschutzfolgeabschätzung durch das Patientendaten-Schutz-Gesetz (BGBl 2020 Teil I Nummer 46) sei nur in einer Arztpraxis/Zahnarztpraxis notwendig, in der nicht mehr als 20 Personen beschäftigt sind (§ 38 Abs. 1 Satz 1 BDSG; Art. 35 die DSGVO). Sicherheitsmängel würden sich deshalb nicht erschließen. Auch eine Verletzung des Grundrechts auf Berufsfreiheit nach Art. 12 Grundgesetz sei nicht ersichtlich. Es handle sich um eine Berufsausübungsregelung, die durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt sei.
Dagegen ließ der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage zum Sozialgericht München einlegen. Schwerpunkt der ausführlichen Klagebegründung war insbesondere die datenschutzrechtliche Ve...