Entscheidungsstichwort (Thema)

Plausibilitätsprüfung. Vorrangigkeit der gesetzlichen Regelung gegenüber den Richtlinien

 

Orientierungssatz

Die Regelung des § 106a Abs 2 S 2 SGB 5 ist wegen des verfassungsrechtlichen Grundsatzes des Vorrangs des Gesetzes gegenüber dem § 8a Abs 2 der Richtlinien zu § 106a SGB 5 vorrangig.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 30.10.2019; Aktenzeichen B 6 KA 9/18 R)

 

Tenor

I. Die Klage wird im Hauptantrag abgewiesen. Die Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide vom 16.12.2011 und 22.03.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.10.2014 verurteilt, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu verbescheiden, soweit sich die Plausibilitätsprüfung nicht auf die GOP 31920 bezieht.

II. Die Kosten werden gegeneinander aufgehoben.

 

Tatbestand

Gegenstand der zum Sozialgericht München eingelegten Klage ist die Plausibilitätsprüfung in den Quartalen 3/07, 4/07-4/09, die zu einer Rückforderung in Höhe von 161.949,34 EUR führte. Angefochten sind die Ausgangsbescheide in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.09.2014. Die Klägerin, das MVZ A-Stadt wurde am 01.07.2006 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Gründer waren Dr. C. und Dr. D ... Wie der Prozessbevollmächtigte im Rahmen der mündlichen Verhandlung mitteilte, bestand bis zur Gründung des MVZ‚s eine Berufsausübungsgemeinschaft, bestehend aus drei Ärzten. Einer der Ärzte trat aus der Berufsausübungsgemeinschaft aus, weshalb, um den Vertragsarztsitz nicht zu verlieren, ein MVZ gegründet worden sei. Zunächst war Frau Dr. E. als angestellte Ärztin mit einem Tätigkeitsumfang von 38,5 Wochenstunden mit dem Bedarfsplanungsfaktor 1,0 beschäftigt. Ab dem 01.10.2007 wurde deren Tätigkeitsumfang mit Genehmigung des Zulassungsausschusses auf 19,25 Wochenstunden und dem Bedarfsplanungsfaktor 0,5 bis 30.6.2008 reduziert. Ebenfalls ab dem 01.10.2007 wurde Dr. Böhmer beim MVZ A-Stadt angestellt und zwar zunächst mit 19,25 Wochenstunden und dem Bedarfsplanungsfaktor 0,5, ab dem 01.07.2008 bis 31.05.2009 mit 38,5 Wochenstunden und dem Bedarfsplanungsfaktor 1,0. Die Plausibilitätsprüfung erstreckte sich auf Leistungen der GOP 31020 EBM (Kontraktionsmobilisierung) und Zeitüberschreitungen. Mit Schriftsatz vom 27.11.2015 wurde die Klage hinsichtlich der Plausibilitätsprüfung, die GOP 31020 EBM betreffend, zurückgenommen (Anteil an der Rückforderungssumme: 11.740,01 EUR). Gleichzeitig wurde für den zurückgenommenen Teil der Klage der Antrag gestellt, die Kosten insoweit der Beklagten aufzuerlegen. Die Beklagte stellte im Quartal 3/07 Zeitüberschreitungen fest, nämlich bei Dr. D. im Quartal 3/07 (924,43 Quartalsstunden), bei Dr. F. in den Quartalen 1/08 und 2/08 (937,31 Quartalsstunden; 1.039,79 Quartal Stunden) und auch bei Frau Dr. E. in den Quartalen 3/07 und 4/07 (758,22 Quartalsstunden; 398, 73 Quartalsstunden). Rechtlich stützte die Beklagte die Plausibilitätsprüfung auf §§ 75, 83 SGB V, § 7 Gesamtvertrag Primärkassen, § 8 Gesamtvertrag Ersatzkassen, § 106a Abs. 2 SGB V, § 46 BMV-Ä bzw. § 42 Ä-EKV. Rechtsgrundlage für die Rückforderung sei § 50 Abs. 1 SGB V. Aufgreifkriterium für die Plausibilitätsprüfung nach § 8 Abs. 3 der Richtlinien gemäß § 106a SGB V seien bei Vertragsärzten mit vollem Versorgungsauftrag 780 Quartalsstunden. Diese Zeitgrenze sei auch bei vollzeitbeschäftigten angestellten Ärzten zu beachten. Bei angestellten Ärzten mit einem Bedarfsplanungsfaktor von 0,5 seien 260 Quartalsstunden zu veranschlagen. Berücksichtigt worden sei auch die stattgefundene Vertretung. Die Regelungen in der Ärztezulassungs-Verordnung (Ärzte-ZV), hier § 32 Ärzte-ZV seien anwendbar. Allgemein könne sich die Klägerin nicht auf Vertrauensschutz berufen. Denn gemäß § 37 S. 1SGB I werde § 45 Abs. 2-4 SGB X von § 106a SGB V verdrängt. Die Klägerin habe gegen ihre Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung verstoßen. Ein Verschulden liege vor. Dagegen ließ die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten Klage zum Sozialgericht München einlegen. Zunächst wies der Prozessbevollmächtigte des MVZ‚s auf die Historie hin. Danach habe bis zum Jahr 2006 eine Dreier-Berufsausübungsgemeinschaft bestanden. Nachdem einer der drei Ärzte, Dr. R. aus der Berufsausübungsgemeinschaft ausgetreten sei, habe man, nicht zuletzt um den Vertragsarztsitz nicht zu verlieren, die Gestaltungsform des MVZ gewählt. Hätte man die nunmehr zu Tage tretenden Konsequenzen und Probleme damals gesehen, hätte man dieses Konstrukt nicht gewählt. Im Rahmen der Plausibilitätsprüfung sei als Aufgreifkriterium jeweils die Summe der Arbeitszeiten aller beim MVZ tätigen Ärzte (also 3 * 780 Quartalsstunden) maßgeblich. Werde dies berücksichtigt, dann seien lediglich in den Quartalen 1/08, 2/08 und 3/08 Überschreitungen der Arbeitszeit, allerdings geringen Umfangs (2,7 % bis 5,3 %) festzustellen. Unzulässig und mit § 8 Abs. 3 der KBV-Richtlinie zu § 106a SGB V nicht vereinbar sei, wenn die Beklagte für angestellte Ärzte mit dem Bedarfsplanungsfaktor 0,5 lediglich 260 Quartalsst...

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