Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Vergütung. Abrechenbarkeit einer "unvorhergesehenen Inanspruchnahme des Vertragsarztes durch einen Patienten" (GOP 01100 EBM-Ä 2008). überörtliche anästhesistische Gemeinschaftspraxis
Orientierungssatz
1. Der Ansatz der GOP 01100 EBM-Ä 2008 ist nicht möglich, wenn zwar die Inanspruchnahme des Arztes durch den Patienten zu den in der Leistungslegende genannten Zeiten stattfindet, jedoch innerhalb der Sprechstunde.
2. Die Inanspruchnahme ist nicht unvorhersehbar und deshalb die GOP 01100 EBM-Ä 2008 dann nicht anzusetzen, wenn vom Arzt Leistungen bewusst, geplant und organisiert außerhalb der Sprechstunden angeboten werden, die der Patient beispielsweise in Einrichtungen eines organisierten Notfalldienstes annimmt (vgl LSG Hamburg vom 7.6.2012 - L 1 KA 59/09 und vom 25.4.2013 - L 1 KA 5/12).
3. Demjenigen, der selbst keine Sprechstunden abhält (hier: eine überörtliche anästhesistische Gemeinschaftspraxis), kann nicht der Vorwurf gemacht werden, er halte eine faktische Sprechstunde ab, indem er den Patienten für den Fall, dass Komplikationen nach der Operation auftreten, die Informationen mit Angabe einer Mobiltelefonnummer gibt, er sei erreichbar.
Nachgehend
Tenor
I. Die Honorarrückforderungsbescheide aus den Plausibilitätsprüfungen 2/08 bis 2/11 jeweils in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.02.2015 werden aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten der Verfahren, soweit sie sich nicht auf die von der Klagerücknahme umfassten Teile beziehen.
Tatbestand
Gegenstand der in der mündlichen Verhandlung am 15.05.2017 verbundenen vier Verfahren nach teilweiser Klagerücknahme sind die Plausibilitätsprüfungen in den Quartalen 2/2008 bis einschließlich Quartal 2/2011 im Zusammenhang mit dem Ansatz der Gebührenordnungsposition (GOP) 01100 EBM-Ä. In den Ausgangsbescheiden in der Fassung der Widerspruchsbescheide, jeweils vom 25. Februar 2015 vertrat die Beklagte die Auffassung, der Ansatz der GOP 01100 EBM-Ä sei implausibel. Die Vertragsärzte hätten gegen ihre Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung verstoßen. Es handle sich nicht um eine unvorhergesehene Inanspruchnahme. Unter Hinweis auf die Entscheidung des Sozialgerichts München vom 240.9.2014 (Az. S 21 KA 1354/14) wurde ausgeführt, unvorhergesehen sei die Inanspruchnahme des Vertragsarztes, wenn dieser zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme nicht damit rechne, vertragsärztliche Leistungen zu erbringen, er also nicht in einer Dienstsituation in Anspruch genommen werde. Diese Dienstsituation könne entweder aufgrund einer Sprechstunde oder aufgrund eines angeboten Notdienstes bestehen oder deshalb, weil der Patient für die Behandlung am Sonntag bestellt war. In einer ersten Stellungnahme des Prozessbevollmächtigten sei die Rede von einem Bereitschaftsdienst oder einem 24 Stunden Notdienst gewesen. Auffällig sei auch, dass die Abrechnung der GOP 01100 EBM-Ä meistens in Zusammenhang mit anderen Gebührenordnungsziffern, nämlich mit den GOP‚s 05230, 40144 und 01602 EBM-Ä und zwar am Tag nach der Operation erfolge. Im Übrigen müsse die Initiative vom Patienten aus gehen, nicht von einem anderen Arzt.
Dagegen ließ die Klägerin, eine überörtliche Gemeinschaftspraxis auf dem Gebiet der Anästhesiologie vier Klagen zum Sozialgericht München einlegen. Die Prozessbevollmächtigten vertraten die Auffassung, die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig und verletzten die Klägerin in ihren Rechten.
Das Vorhalten einer Erreichbarkeit über ein Mobiltelefon könne nicht mit der einer Inanspruchnahme im Rahmen von Dienstsituationen, insbesondere in organisierten Sprechstunden verglichen werden. Die Behandlung jedes Patienten sei unvorhergesehen, nicht beabsichtigt und nicht geplant gewesen. Insbesondere sei die Situation der Klägerin nicht vergleichbar mit dem Sachverhalt, der der Entscheidung des Landessozialgerichts Hamburg vom 07.06.2012 (Az. L 1 KA 59/09) zu Grunde gelegen habe. Dort hätten Ärzte im Ärzteverbund den hausärztlichen Notdienst als Bereitschaftsdienst organisiert. Die Situation der Klägerin sei vielmehr vergleichbar mit der eines Hausarztes, der zur Unzeit telefonisch kontaktiert und aufgesucht werde. Würde man der Auffassung der Beklagten folgen, hätte dies zur Folge, dass die Klägerin mangels Teilnahme am organisierten Notfalldienst auch die Notfallpauschale oder die Notfall-Konsultationspauschalen nicht abrechnen könne. Ihr Aufwand bleibe somit vollkommen entschädigungslos. Auch aus einer Nebeneinanderabrechnung der GOP‚s 05230, 40144 und 01602 EBM-Ä könne nicht auf eine Implausibilität der GOP 01100 EBM-Ä geschlossen werden. So würden die Patienten in der Praxis des Operateurs aufgesucht, wo auch die Durchführung der Narkose stattfinde. Dafür rechneten die Anästhesisten die GOP‚s 05230, 40144 und 01602 EBM-Ä ab. Sofern der Patient nach einem ambulanten Eingriff zuhause Beschwerden verspüre und daraufhin einen Anästhesisten der Klägerin kontaktiere, werde die GOP 01...