Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Pflegeversicherung. Wohngruppenzuschlag für Pflegebedürftige in einer familiär verbundenen Wohngruppe
Orientierungssatz
Die im Gemeinsamen Rundschreiben des GKV-Spitzenverbands der Pflegekassen zu den leistungsrechtlichen Vorschriften vom 17.4.2013 unter 2.2 zu § 38a SGB 11 vertretene Auffassung, dass das Zusammenleben innerhalb eines Familienverbunds (zB Eltern mit Kindern, Pflegschaftsverhältnisse) nicht den Zweck der gemeinschaftlichen pflegerischen Versorgung in einer gemeinsamen Wohnung verfolge, ist mit Art 6 Abs 1 GG und Art 3 Abs 1 GG nicht vereinbar.
Nachgehend
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 24. April 2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. September 2013 verurteilt, der Klägerin für die Zeit ab 01. Januar 2013 monatlich einen Wohngruppenzuschlag in Höhe von 200,- Euro zu zahlen.
Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin zusätzliche Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngruppen gem. § 38a des Elften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XI) zustehen.
Die im Januar 1927 geborene Klägerin erhält von der Beklagten Leistungen bei häuslicher Pflege nach der Pflegestufe I. Sie lebt in einem gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehemann, zwei Söhnen, einer Schwiegertochter und drei erwachsenen Enkeln. Ihr Ehemann und einer ihrer Söhne sind ebenfalls erheblich pflegebedürftig und beziehen Leistungen bei häuslicher Pflege. Sie werden - wie die Klägerin - im Wesentlichen von der Schwiegertochter der Klägerin und einer ambulanten Pflegeeinrichtung pflegerisch versorgt.
Am 15. Januar 2013 beantragten die Klägerin, ihr Ehemann sowie ihr pflegebedürftiger Sohn die Zahlung eines Wohngruppenzuschlags nach § 38a SGB XI. Durch Bescheid vom 19. März 2013 bewilligte die Pflegekasse der AOK Nordwest für den bei ihr versicherten Sohn der Klägerin - zunächst befristet bis zum 28. Februar 2014 - einen pauschalen Wohngruppenzuschlag in Höhe von monatlich 200,- Euro.
Die Beklagte hingegen lehnte den Antrag der Klägerin - wie den ihres Ehemannes - durch Bescheid vom 24. April 2013 ab. Die Vorschrift des § 38a SGB XI setze unter anderem voraus, dass es sich um ein gemeinschaftliches Wohnen von regelmäßig mindestens drei Pflegebedürftigen handele mit dem Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung. Dieser Zweck werde bei einem Zusammenleben innerhalb eines Familienverbundes nicht verfolgt. Die Beklagte stützte sich bei ihrer Auffassung auf das Gemeinsame Rundschreiben des GKV-Spitzenverbandes der Pflegekassen zu den leistungsrechtlichen Vorschriften vom 17. April 2013.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 16. September 2013 zurück.
Mit der am 21. Oktober 2013 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Entgegen der in dem Gemeinsamen Rundschreiben zum Ausdruck kommenden Einschätzung könne ein Zusammenleben innerhalb eines Familienverbundes durchaus den Zweck verfolgen, die gemeinschaftliche pflegerische Versorgung in einer gemeinsamen Wohnung aufrecht zu erhalten. Auch in einem Familienverbund seien durch das Zusammenleben von mehreren pflegebedürftigen Menschen zusätzliche organisatorische, verwaltende oder pflegerische Tätigkeiten erforderlich, die ebenso abgegolten werden müssten wie bei einer nicht familiären Wohngruppe.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24. April 2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. September 2013 zu verurteilen, der Klägerin für die Zeit ab 01. Januar 2013 monatlich einen Wohngruppenzuschlag in Höhe von 200,- Euro zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf die im Gemeinsamen Rundschreiben des GKV-Spitzenverbandes vertretene Rechtsauffassung. Bei einem Zusammenleben innerhalb eines Familienverbundes sei die gesetzliche Tatbestandsvoraussetzung des "Zwecks der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung" in einer gemeinsamen Wohnung nicht erfüllt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klägerin ist durch den Bescheid vom 24. April 2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. September 2013 beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), weil diese Verwaltungsakte rechtswidrig sind. Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung eines Wohngruppenzuschlags.
Mit dem Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz (PNG) vom 23. Oktober 2012 ist mit Wirkung vom 30. Oktober 2012 die Vorschrift des § 38a SGB XI eingeführt worden, die die Gewährung von zusätzlichen Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngruppen regelt.
Nach § 38a Abs. 1 SGB XI haben Pflegebedürftige Anspruch auf einen pauschalen Zuschlag in Höhe von 2...