Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschluss einer Übernahme von Fahrkosten zu einer ambulanten medizinischen Behandlung durch den Grundsicherungsträger
Orientierungssatz
1. Das Nebeneinander der Schutzsysteme der Krankenversicherung und der Grundsicherung steht einer Finanzierung von Krankheitskosten durch Grundsicherungsleistungen grundsätzlich entgegen. Soweit Leistungen im System der Krankenversicherung ausgeschlossen werden, verbietet es sich, diesen Leistungsausschluss mit der Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 6 SGB 2 zu kompensieren.
2. Der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung sieht unter bestimmten Voraussetzungen nach § 60 SGB 5 die Fahrkostenübernahme zu einer ambulanten Behandlung vor. Weil damit eine Kostenübernahme im Leistungssystem des SGB 5 geregelt ist, kann der entsprechende gesundheitsspezifische Bedarf keine Bedarfslage i. S. von § 21 Abs. 6 SGB 2 auslösen.
3. Die Höhe des Regelbedarfs im Recht der Grundsicherung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG Beschluss vom 23. 7. 2014, 1 BvL 10/12).
Tenor
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vom 21. Juni 2015 wird abgelehnt.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe
Die Beteiligten streiten im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens darum, ob der Antragstellerin höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für den Monat Juli 2015 für Fahrten zur ambulanten Behandlungen zu gewähren sind.
Der bei dem Sozialgericht Neuruppin am 22. Juni 2015 eingegangene Antrag vom 21. Juni 2015 Tage, mit dem die Antragstellerin (sinngemäß) beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die ihr im Monat Juli 2015 für Fahrten zu medizinisch notwendigen Behandlungen entstehenden Fahrtkosten in Höhe eines Gesamtbetrages von 55,00 Euro vorläufig zu gewähren,
hat keinen Erfolg.
1. Der gemäß § 86b Abs 2 S 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf den Erlass einer Regelungsanordnung gerichtete zulässige Antrag ist unbegründet. Nach der eingangs genannten Vorschrift des § 86b Abs 2 S 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis nach summarischer Prüfung des zur Verfügung stehenden Tatsachenmaterials treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile - insbesondere einer existenziellen Notlage - nötig erscheint. Anordnungsgrund, dh die Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen Regelung, und Anordnungsanspruch, dh die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren begehrt wird, sind geltend und die zur Begründung erforderlichen Tatsachen sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 S 4 SGG iVm § 920 Abs 2 der Zivilprozessordnung). Diese Voraussetzungen sind jedoch nicht erfüllt. Die Antragstellerin hat weder einen Anordnungsanspruch (dazu unter 2.), noch das Vorliegen eines Anordnungsgrundes (dazu unter 3.) glaubhaft gemacht.
2. Die Antragstellerin hat zunächst einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft machen können.
a) Anspruchsgrundlage für die Gewährung des hier in Rede stehenden Mehrbedarfs für Fahrtkosten zu medizinisch notwendigen Behandlungen ist - was die Antragstellerin auch zutreffend erkennt - in erster Linie die Vorschrift des § 21 Abs 6 S 1 SGB II. Danach wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer - dh atypischer - Bedarf besteht.
aa) Eine besondere - atypische - Bedarfslage im Sinne von § 21 Abs 6 S 1 SGB II liegt hier jedoch nicht vor. Die Antragstellerin macht hier nämlich Leistungen geltend, die regelmäßig vorrangig dem Leistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung zuzuordnen sind. Das System der gesetzlichen Krankenversicherung steht der gesetzlich krankenversicherten Antragstellerin als umfassendes - vorrangiges - Schutz- und Fürsorgesystem gegen das Risiko der Krankheit zur Verfügung. Die gesetzliche Krankenversicherung erfüllt dabei den verfassungsmäßigen Auftrag, eine ausreichende medizinische Versorgung zu gewährleisten. Diese Versorgung ist von daher schon grundsätzlich nicht Bestandteil der Grundsicherung nach dem SGB II, die im Wesentlichen das Risiko der (Langzeit-)Arbeitslosigkeit bzw. der unzureichenden Bedarfsdeckung durch erzieltes Erwerbseinkommen abdeckt und zudem als Sozialhilfeleistung dem Prinzip der Nachrangigkeit unterliegt (vgl § 2 Abs 1 S 1, § 2 Abs 2 S 1, § 5 Abs 1 S 1 und § 9 Abs 1 SGB II).
Dieses Neben- bzw Nacheinander der Schutzsysteme steht einer Finanzierung von Krankheitskosten durch Grundsicherungsleistungen grundsätzlich und von vornherein entgegen (vgl mit ähnlicher Akzentuierung: Bundessozialgericht, Urteil vom 26. Mai 2011 - B 14 AS 146/10 R, Rdnr 23f; vgl im Einzelnen auch: Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 25. September 2013 - L 7 AS 83/12 NZB, RdNr 21ff). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass der notwendige Lebe...