Entscheidungsstichwort (Thema)
Statthaftigkeit und Zulässigkeit einer Aufsichtsklage des Verwaltungsrates der BA gegen das BMAS. Untersagung der Vergabe eines Sachverständigengutachtens zur Verfassungsmäßigkeit des Aussteuerungsbetrages nach § 46 Abs 4 SGB 2. Maßnahme der Rechtsaufsicht. Selbstverwaltungsrecht. Grundrechtsfähigkeit
Orientierungssatz
1. Die Aufsichtsklage ist als eigene Klageart nach § 54 Abs 3 SGG statthaft, ohne dass es darauf ankäme, ob die aufsichtliche Maßnahme einen Verwaltungsakt darstellt, was jedoch vorliegend der Fall ist. Da die Bundesagentur für Arbeit (BA) gem § 87 Abs 2 S 1 GG eine bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts (Körperschaft oder Anstalt) und rechtsfähig ist (§ 367 Abs 1 SGB 3), haben aufsichtliche Maßnahmen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) ihr gegenüber Außenwirkung. Dies gilt unabhängig davon, ob die BA in Angelegenheiten der Selbstverwaltung oder gemäß § 371 Abs 4 SGB 3 ohne Selbstverwaltung tätig wird.
2. Auch wenn ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage nach § 54 Abs 3 SGG Zulässigkeitsvoraussetzung ist, so genügt jedoch die bloße Möglichkeit einer Verletzung eigener Rechte der BA, die mit Blick auf das durch § 367 Abs 1 SGB 3 eingeräumte Selbstverwaltungsrecht denkbar erscheint.
3. Eine auf § 393 SGB 3 gestützte, als rechtsaufsichtliche Maßnahme einzustufende Weisung des BMAS, mit der der BA untersagt wurde, ein Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit des Aussteuerungsbetrages nach § 46 Abs 4 SGB 2 zu vergeben, ist formell und materiell rechtmäßig und verletzt die BA nicht in ihren Rechten.
4. Unter der Geltung des § 393 SGB 3 sind weiterhin sowohl rechts- als auch fachaufsichtliche Maßnahmen möglich.
5. § 368 Abs 1 S 1 iVm Abs 2 SGB 3 lässt den Schluss zu, dass sich das Selbstverwaltungsrecht der BA nach §§ 367 Abs 1 iVm 371 SGB 3 ausschließlich auf Aufgaben nach dem SGB 3 bezieht.
6. Das Selbstverwaltungsrecht wurde der BA durch einfaches Gesetz (§§ 367ff SGB 3) eingeräumt. Weder aus Art 33 Abs 5 GG noch aus Art 87 Abs 2 GG noch aus dem Recht auf Selbstverwaltung folgt eine Grundrechtsfähigkeit der BA. Dem Gesetzgeber ist es daher unbenommen, jederzeit das Selbstverwaltungsrecht der BA durch ein Gesetz einzuschränken, das mit dem das Selbstverwaltungsrecht begründenden Gesetz gleichrangig ist.
7. Aufgrund der durch GG vorgegebenen Rechtsnatur der BA besteht nicht die Möglichkeit anzunehmen, dass ihr durch Art 3 WahlVereinfG Grundrechtsposition verliehen worden wäre.
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich im Wege einer Aufsichtsklage nach § 54 Abs. 3 SGG gegen einen rechtsaufsichtlichen Verwaltungsakt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 5.12.2006, mit dem der Bundesagentur für Arbeit gemäß § 393 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) untersagt wurde, ein Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit des Aussteuerungsbetrages nach § 46 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zu vergeben.
In der Sitzung des Verwaltungsrats der Bundesagentur für Arbeit vom 16. Dezember 2004 beantragte die Gruppe der Arbeitgeber, die Verfassungsmäßigkeit des "Aussteuerungsbetrags" nach § 46 Abs. 4 SGB II zu überprüfen. Der Verwaltungsrat erteilte daraufhin mehrheitlich (15 Ja-, 4 Nein-Stimmen, 2 Enthaltungen) den Auftrag an das Präsidium des Verwaltungsrats, die Verfassungsmäßigkeit des Aussteuerungsbetrags mit Experten vorzusondieren und zu prüfen, ob die Erstellung eines Gutachtens erfolgversprechend sei.
Nachdem das Justitiariat des BA-Service-Hauses zu dem Ergebnis gekommen war, es sei rechtlich vertretbar, wenn der Verwaltungsrat ein Sachverständigengutachten zur Rechtmäßigkeit und damit zur Verfassungsmäßigkeit des Aussteuerungsbetrags in Auftrag gebe, war das Vorhaben Gegenstand einer rechtlichen Prüfung innerhalb des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Mit Schreiben vom 3.11.2005 teilte das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit der Klägerin mit, eine rechtliche Prüfung habe ergeben, dass unter Zugrundelegung sämtlicher Auslegungsmethoden die Vergabe eines solchen Gutachtens nicht zulässig sei (Blatt 134 ff. der Akten).
Mit Schreiben vom 13.12.2005 teilte der Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales R. A. dem Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit, Herrn F.-J. W., mit, die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Regelung sei von der Überwachungs- und Beratungsfunktion des Verwaltungsrates gemäß § 373 Abs. 1, 371 Abs. 2 SGB III nicht umfasst, was bereits vorab dem Zentralbereichsleiter Controlling und Finanzen der Klägerin mitgeteilt worden sei. Er werde deshalb gebeten, im Rahmen seiner Möglichkeiten darauf hinzuwirken, dass die Vergabe eines entsprechenden Gutachtens vom Verwaltungsrat nicht beschlossen werde. Im Falle eines entsprechenden Beschlusses des Verwaltungsrates über die Gutachtensvergabe erachte er es für erforderlich, dies im Rahmen der Rechtsaufsicht zu beanstanden.
In seiner Sitzung vom ...