Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziales Entschädigungsrecht: Feststellung der gesundheitlichen Folgen einer rechtsstaatswidrigen Strafhaft in der früheren DDR. Bestimmung des Grades der Schädigung für einen Zahnverlust als Haftfolge

 

Orientierungssatz

Der Verlust von Zähnen infolge einer rechtsstaatswidrigen Strafhaft in der früheren DDR führt jedenfalls dann nicht zur Zuerkennung eines gesonderten Grades der Schädigung im Rahmen der Ermittlung von Entschädigungsansprüchen, wenn der Zahnverlust insgesamt weniger als die Hälfte des Gebisses betrifft (hier: Verlust von sechs Zähnen). Ein solcher Zahnverlust kann deshalb auch nicht den Gesamtgrad der Schädigungsfolgen erhöhen.

 

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Anerkennung von Schädigungsfolgen infolge erlittener Haft in der ehemaligen DDR bereits ab 1987 sowie die Gewährung einer Beschädigtenrente nach einem Grad der Schädigung (GdS) von mehr als 50 auf der Grundlage des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (StrRehaG) i. V. m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der 1958 geborene Kläger befand sich in der Zeit vom 10.04.1986 bis 20.05.1987 (ungesetzliche Verbindungsaufnahme und mehrfache öffentliche Herabwürdigung) in Strafhaft in verschiedenen Haftanstalten der DDR. Im Anschluss an die Haftzeit wurde der Kläger in die Bundesrepublik entlassen. Mit Beschluss des Landgerichts Magdeburg vom 21.06.1995 - 5 Reh. 1227/94 - wurde der Kläger für die Haftzeit vom 10.04.1986 bis 20.05.1987 rehabilitiert.

Am 15.06.1987 stellte der Kläger erstmals einen Antrag auf Feststellung von Schädigungsfolgen und Versorgung nach dem Häftlingshilfegesetz (HHG) i. V. m. dem BVG. Mit dem Antrag machte der Kläger als Gesundheitsstörung evtl. ein seelisches Leiden geltend. Ob eine Gesundheitsstörung vorliege, könne er erst nach der am 01.06.1987 nach § 4 HHG beantragten Kur sagen.

Vom 12.01.1988 bis 09.02.1988 war der Kläger dann zur Kur in B.. Dort wurden im Abschlussbericht ein psychophysischer Erschöpfungszustand, eine vegetative Dystonie, eine Struma diffusa et nodosa sowie eine Akne vulgaris festgestellt. Der Kläger habe sich recht gut erholt, er sei psychisch aufgelockert gewesen und klagte subjektiv über keine Beschwerden. Das frühere Haftgeschehen werde distanziert und gut reflektiert betrachtet.

Am 11.05.1988 fragte das Versorgungsamt B. daher beim Kläger nach, welche Schädigungsfolgen noch vorliegen würden und ob er seinen Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung aufrechterhalte. Nachdem das Schreiben wegen Umzugs nach A-Stadt zurückkam, wurden die Akten vom Versorgungsamt B. an den Beklagten zuständigkeitshalber abgegeben. Mit Schreiben vom 10.06.1988 wurde der Kläger erneut befragt, ob und gegebenenfalls welche Haftschäden noch vorlägen. Der Kläger antwortete darauf mit Schreiben vom 26.06.1988, das sich sein Wohlbefinden wieder vollständig normalisiert habe; der Kuraufenthalt sei dabei eine große Hilfe gewesen. Haftschäden seien daher momentan nicht vorhanden und seien auch nicht zu erwarten.

Daraufhin wurde die Akte mit dem Vermerk "wegen fehlender Haftschäden nichts weiter zu veranlassen" weggelegt.

Am 19.07.2005 erfolgte ein Anruf einer Frau W. von der N. und teilte mit, dass sie in der Arbeitsvermittlung einen Herrn A. betreue, der derzeit psychisch schwer erkrankt sei und dies auch auf seine frühere Haft in der DDR zurückführe. Sie bat daher um Übersendung der entsprechenden Antragformularblätter für die Beantragung von Leistungen nach dem StrRehaG. Diese Antragsformulare wurden dann wunschgemäß vom Beklagten an Frau W. bei der N. übersandt. Eine Antragstellung mit diesen Formularen erfolgte dann aber erst am 26.11.2009.

Mit Bescheid vom 15.11.2007 erhält der Kläger seit 01.09.2007 eine monatliche Zuwendung von derzeit 300,- Euro vom Ausgleichamt als bes. Zuwendung nach § 17a StrRehaG.

Nachdem der Beklagte ärztliche Befundberichte beigezogen hatte, gelangte der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. G. in seinem neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 10.08.2010 zu der Einschätzung, dass anlassbezogene Wiedererinnerungen mit Ängsten und auch Vermeidungsverhalten als Gesundheitsstörungen vorliegen, die als Folge einer Schädigung durch die Inhaftierung mit einem GdS von 20 angesehen werden könnten. In ihrer Stellungnahme vom 27.09.2010 führte die Nervenärztin B. aus, dass als Schädigungsfolgen "anlassbezogene Wiedererinnerungen mit Ängsten und auch Vermeidungsverhalten, Verschlimmerung einer vorbestehenden Persönlichkeitsstörung" bei einem GdS von 30 anzuerkennen seien.

Mit Bescheid vom 08.10.2010 bewilligte der Beklagte die Gesundheitsstörungen Anlassbezogene Wiedererinnerungen mit Ängsten und auch Vermeidungsverhalten sowie Verschlimmerung einer vorbestehenden Persönlichkeitsstörung als Schädigungsfolgen der erlittenen Haft. Der Grad der Schädigungsfolge betrage 30 v. H., so dass ein Anspruch auf Gewährung einer Rente ab 01.11.2009 bestehe. Der hiergegen am 25.01.2011 e...

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