Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendbarkeit des § 34 SGB 6 bei einem Bezug einer vorzeitigen Altersrente und gleichzeitigem Bezug einer Entschädigung nach dem Abgeordnetenstatut des Europäischen Parlaments
Orientierungssatz
1. Bei Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung handelt es sich um Bezüge aus öffentlichen Kassen, die iS des § 13 Abs 3 S 1 EuAbgG auf Bundesrecht beruhen (vgl BVerfG vom 30.9.1987 - 2 BvR 933/82 = BVerfGE 76, 256 sowie LSG Mainz vom 19.10.2016 - L 4 R 188/14 = juris RdNr 27ff).
2. Zur Anwendbarkeit des § 34 Abs 2 und 3 SGB 6 idF vom 5.12.2012 bzw § 34 Abs 2 und 3b SGB 6 idF 8.12.2016 bei einem Bezug einer vorzeitigen Altersrente und gleichzeitigem Bezug einer Entschädigung nach dem Abgeordnetenstatut des Europäischen Parlaments.
3. Abgeordnetenentschädigungen sind aufgrund des besonderen, grundgesetzlich geregelten Status des Abgeordneten nicht vergleichbar mit Arbeitsentgelt aus einer abhängigen Beschäftigung bzw mit Arbeitseinkommen aus einer selbstständigen Tätigkeit. Da die Stellung eines Abgeordneten des Europäischen Parlaments vergleichbar ausgestaltet ist, kann für diesen nichts anderes gelten.
Tenor
I. Der Bescheid der Beklagten vom 23.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.04.2016 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ab 01.09.2015 Altersrente für schwerbehinderte Menschen in Höhe von mindestens 50 vom Hundert nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren, wobei die Altersrente für schwerbehinderte Menschen neben der Abgeordnetenentschädigung des Klägers als Mitglied des Europäischen Parlaments in Höhe von 50 vom Hundert, höchstens jedoch in Höhe der Abgeordnetenentschädigung, ruht.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Anspruch des Klägers auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen wegen Überschreitens der Hinzuverdienstgrenzen des § 34 Abs. 2, 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) (i.d.F. vom 05.12.2012, gültig ab 01.01.2013 bis 30.06.2017) bzw. § 34 Abs. 2, 3b SGB VI (i.d.F. vom 08.12.2016, gültig ab 01.07.2017) aufgrund seiner Abgeordnetenentschädigung als Mitglied des Europäischen Parlaments vollständig entfällt oder ob die Rente neben seiner Abgeordnetenentschädigung nach § 29 Abs. 2 S. 2 Abgeordnetengesetz (AbgG) (i.d.F. vom 11.07.2014, gültig ab 16.07.2014) nur in Höhe von 50 %, höchstens jedoch in Höhe der Abgeordnetenentschädigung, ruht.
Der 1953 geborene Kläger war in der Zeit vom 01.11.1979 bis 31.08.2015 bei der Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) versicherungspflichtig beschäftigt. Im Jahr 2009 wurde er als Abgeordneter in das Europäische Parlament gewählt. Bei der Wahl im Jahr 2014 wurde er erneut in das Europäische Parlament gewählt.
Am 27.07.2015 stellte der Kläger Antrag auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen für die Zeit ab dem 01.09.2015. Dem Antrag waren eine Kopie seines Schwerbehindertenausweises (gültig ab 04.05.2015), eine Bescheinigung über das Einkommen 2014 nach Artikel 10 des Abgeordnetenstatuts des Europäischen Parlaments (ABl. L 262 vom 7.10.2005, S. 5) sowie eine Verdienstbescheinigung des Europäischen Parlaments für 10/2015 (Gesamtbetrag: 6.252,01 Euro) beigefügt.
Mit Bescheid vom 23.10.2015 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen insbesondere mit der Begründung ab, dass der Kläger aufgrund seiner Abgeordnetenentschädigung die Hinzuverdienstgrenzen des § 34 Abs. 2 und 3 SGB VI überschreite und dies bis zum Ablauf des Monats, in dem die Regelaltersgrenze erreicht werde, d.h. bis zum 31.03.2019, zu beachten sei. Aus der vorgelegten Gehaltsabrechnung für 10/2015 ergebe sich, dass die Hinzuverdienstgrenzen bereits ab Rentenbeginn voll überschritten werden.
Hiergegen legte der Kläger am 23.11.2015 per Einschreiben sowie per Fax (Schreiben vom 20.11.2015 und 23.11.2015) Widerspruch ein, den er mit Schreiben vom 22.01.2016 und 31.01.2016 insbesondere damit begründete, dass die Hinzuverdienstgrenzen des § 34 Abs. 2, 3 SGB VI bei einer Abgeordnetenentschädigung des Europäischen Parlaments nicht anwendbar seien. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) (Urteil vom 23.02.2000, B 5 RJ 26/99 R, Leitsatz 1 und 2) sei eine Entschädigung weder Arbeitsentgelt noch ein "vergleichbares Einkommen" im Sinne des § 34 Abs. 2, 3 SGB VI. Seine Altersrente ruhe gemäß § 29 Abs. 2 AbgG neben der Abgeordnetenentschädigung nur in Höhe von 50 %, höchstens in Höhe der Abgeordnetenentschädigung. § 29 Abs. 2 AbgG sei über § 13 Abs. 2 Europaabgeordnetengesetz (EuAbgG) für Abgeordnete des Europäischen Parlaments entsprechend anwendbar.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15.04.2016 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Das Urteil des BSG vom 23.02.2000 (a.a.O.) sei durch das Hüttenknappschaftliche Zusatzversicherungs-Neuregelungs-Gesetz (HZvNG) vom 21.06.2002, in Kraft getreten am 01.01.2003, überholt worden. Durch Artikel 8 Nummer 2 des HZvNG wer...