Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeldanspruch. Erfüllung der verkürzten Anwartschaftszeit. im Voraus befristete Beschäftigungsverhältnisse. Vertragsverlängerung. keine nachträgliche Gesamtbetrachtung
Orientierungssatz
1. Für die Erfüllung der verkürzten Anwartschaftszeit gem § 142 Abs 2 S 1 Nr 1 SGB 3 sei nicht entscheidend, ob die Beschäftigungsverhältnisse nach Verlängerung tatsächlich länger bestehen als zunächst vereinbart (vgl LSG Essen vom 20.2.2020 - L 9 AL 6/18 = juris RdNr 38).
2. Bei der Beurteilung, ob kurze befristete Beschäftigungen iS von § 142 Abs 2 S 1 Nr 1 SGB 3 vorliegen, sind auf die jeweils im Voraus vereinbarten Befristungsabreden abzustellen. Eine Differenzierung nach Beschäftigungen bei demselben Arbeitgeber oder bei unterschiedlichen Arbeitgebern sieht das Gesetz nicht vor. Auf eine rückblickende Gesamtbetrachtung des gesamten Beschäftigungszeitraumes kommt es nicht an.
Tenor
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 09.11.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.11.2021 verurteilt, dem Kläger vom 01.10.2021 bis 28.02.2022 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Der Rechtsstreit wird um Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Drittes Buch (SGB III) geführt. Es ist zwischen den Beteiligten die Bewilligung von Arbeitslosengeld streitig.
Der Kläger erhielt im Zeitraum 01.04.2017 bis 22.04.2019 immer wieder Arbeitslosengeld von der Beklagten, bis er die volle Anspruchsdauer erschöpft hatte. Vom 15.10.2020 bis zum 30.09.2021 war er sodann befristet bei der Fa. E. beschäftigt. Ein erster befristeter Arbeitsvertrag wurde einmal verlängert, ein weiterer Arbeitsvertrag zweimal. Im Einzelnen waren die Befristungen wie folgt vereinbart:
1. Befristeter Arbeitsvertrag für die Zeit vom 15.10.2020 - 15.12.2020,
Verlängerung bis zum 15.01.2021
2. Befristeter Arbeitsvertrag für die Zeit vom 16.01.2021 - 12.02.2021,
Verlängerung bis zum 15.07.2021, weitere Verlängerung bis zum 30.09.2021
In dieser Zeit verdiente der Kläger insgesamt (einschließlich Sonderzahlung) 29.715,58 EUR brutto.
Mit Wirkung zum 01.10.2021 beantragte der Kläger nach Ablauf der Befristung erneut Arbeitslosengeld. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 09.11.2021 ab, weil der Kläger die Anwartschaftszeit nicht erfüllt habe. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 24.11.2021 zurück. Der zuvor erworbene Leistungsanspruch sei bereits ausgeschöpft worden. Innerhalb der Rahmenfrist vom 01.04.2019 bis zum 30.09.2021 sei der Kläger - anstatt der erforderlichen 360 Kalendertage - nur 351 Tage versicherungspflichtig beschäftigt gewesen, so dass ein neuer Anspruch nicht entstanden sei.
Am 08.12.2021 hat der Kläger bei der Beklagten "Widerspruch" gegen den Widerspruchsbescheid eingelegt, den die Beklagte nach entsprechender Rückfrage beim Kläger als Klage an das Sozialgericht Nürnberg weitergeleitet hat. Er begehrt die Bewilligung von Arbeitslosengeld nach Ablehnung. Auf Grund seiner mehrfach befristeten Beschäftigungen sei die Anwartschaftszeit ausnahmsweise bereits nach sechs Monaten erfüllt. Seit dem 01.03.2022 sei er nicht mehr arbeitslos.
Der Kläger beantragt:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 09.11.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.11.2021 verurteilt, dem Kläger ab dem 01.10.2021 bis 28.02.2022 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen darauf, dass die Anwartschaftszeit von 360 Tagen nicht erfüllt sei. Eine Verkürzung auf sechs Monate komme nach der aktuellen internen Weisungslage nicht in Betracht, weil es sich bei der mehrfach befristeten Tätigkeit nicht um überwiegend kurze Beschäftigungsverhältnisse gehandelt habe. Die Fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zu § 142 SGB III führen unter Nr. 142.2.2 Abs. 3 aus: "Dauert die ursprünglich befristete Beschäftigung tatsächlich länger als 14 Wochen, erfüllt sie nicht das Merkmal der kurzen Beschäftigung und ist im Vergleich der Beschäftigungen den längeren Beschäftigungen zuzuordnen." Der Kläger sei beim selben Arbeitgeber mehrfach nahtlos nacheinander befristet beschäftigt gewesen, deshalb sei dies als eine zusammenhängende, einheitliche längere Tätigkeit zu werten, was eine Verkürzung der Anwartschaftszeit ausschließe.
Die Leistungsakte der Beklagten ist beigezogen worden. Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird hierauf verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat vollumfänglich Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.
Gegenstand dieses Rechtsstreites ist der Bescheid vom 09.11.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.11.2021, mit dem die Beklagte den Antrag auf Arbeitslosengeld ab dem 01.10.2021 abgelehnt hat.
Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§§ 87, 90 und 92 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Statthafte Klageart ist die kombi...