Orientierungssatz

1. Wenn Überwiegendes dafür spricht, dass sich der Hilfebedürftige als Student lediglich mit zweiten Wohnsitz am Studienort aufhält, ist - trotz des Studiums - von einem tatsächlichen und gewöhnlichen Aufenthalt iS des § 98 Abs 1 SGB 12 im Zuständigkeitsbereich des ersten Wohnsitzes auszugehen.

2. Die Zuständigkeitsregelung in § 98 Abs 5 S 1 SGB 12 bezieht sich auf eine von freien Trägern organisierte ambulante Wohnform iS des § 55 Abs 2 Nr 6 SGB 9.

3. Die Zuständigkeitsklärung nach § 14 SGB 9 geht der Regelung über vorläufige Leistungen nach § 43 SGB 1 grundsätzlich vor. Bestreiten aber beide angegangenen Träger ihre örtliche Zuständigkeit, so ist im Interesse des Hilfesuchenden § 43 SGB 1 anzuwenden.

 

Gründe

I. Die Beteiligten streiten darum, ob die Antragsgegnerin örtlich für das Hilfebegehren des Antragstellers zuständig ist.

Der 1979 geborene, ledige Antragsteller lebte bei seinen Eltern in O, wo er auch mit erstem Wohnsitz gemeldet war und ist. Seit dem August 2001 studierte der Antragsteller in K, wo er sich mit zweitem Wohnsitz anmeldete. Er lebte von Unterhaltsleistungen seiner Eltern. Am 11. März 2005 erlitt der Antragsteller im Ausland einen Unfall, der zu einer inkompletten Tetraplegie ab C 6 mit Blasen- und Mastdarmlähmung führte und durch den er nunmehr auf die Nutzung eines Rollstuhl angewiesen ist, wobei seine Hände funktional eingeschränkt sind. Intellektuell und mental unterliegt der Antragsteller keinen Einschränkungen; er ist auf Hilfe bei der Körperpflege und der Mobilität außerhalb der Wohnung angewiesen. Zur Zeit hält sich der Antragsteller noch in einem Krankenhaus bzw. einer Rehabilitationseinrichtung auf.

Mit Antrag vom 05. Juli 2005 wandte sich der Antragsteller vertreten durch seinen vom Amtsgericht Oldenburg bestimmten Betreuer an die Antragsgegnerin mit dem Begehren, dem Grunde nach Leistungen der Hilfe zur Pflege und der Eingliederungshilfe zuzusagen. Denn in einer von den Eltern des Antragstellers angemieteten Wohnung ist beabsichtigt, dass dort Pflegeleistungen im Umfang von etwa 4,5 Stunden und Eingliederungshilfeleistungen im Umfang von etwa 3 Stunden täglich durch einen ambulanten Pflegedienst erbracht werden sollen. Mit Schreiben vom 20. Juli 2005 gab die Antragsgegnerin den Antrag an die Stadt K ab und wies zur Begründung darauf hin, dass gemäß § 98 Abs. 5 SGB XII bei Hilfe in Form einer ambulanten betreuten Wohnmöglichkeit derjenige Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig sei, in dessen Bereich der Hilfesuchende sich vor Eintritt in diese Wohnform tatsächlich aufgehalten habe. Mit Bescheid vom 08. September 2005 lehnte es die Stadt K ab, dem Antragsteller Hilfeleistungen zu erbringen. Zur Begründung führte sie aus, dass es sich um einen Fall der Hilfe zur Pflege und der Eingliederungshilfe handele, für den die örtliche Zuständigkeit der Antragsgegnerin gegeben sei. Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller Widerspruch ein, über den - soweit ersichtlich - bislang noch nicht entschieden worden ist.

Mit den Schreiben vom 21. September und 06. Oktober 2005 wandte sich der Antragsteller erneut an die Antragsgegnerin und verlangte wenigstens den vorläufigen Eintritt in Hilfeleistungen.

Am 24. Oktober 2005 hat sich der Antragsteller an das Sozialgericht O mit der Bitte um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gewandt. Er macht geltend: Zu Unrecht meine die Antragsgegnerin, dass bei ihm ein Fall des § 98 Abs. 5 SGB XII (ambulant betreutes Wohnen) gegeben sei. Zu Unrecht berufe sich auch die Antragsgegnerin auf eine rechtzeitige Abgabe der örtlichen Zuständigkeit an die Stadt K nach § 14 SGB IX. Denn jedenfalls sei die Antragsgegnerin als der zuerst angegangene Leistungsträger zur Erbringung vorläufiger Leistungen nach § 43 SGB I verpflichtet.

Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten und ist der Ansicht, das mit Abgabe des Antrags von ihr an die Stadt K diese gemäß § 14 SGB IX zuständig geworden sei, auch wenn sie in der Sache den Antrag mangels Zuständigkeit abgelehnt habe

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.

II. Der zulässige Antrag hat Erfolg.

Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweiligen Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sogenannte Regelungsanordnung). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist daher stets, dass sowohl ein Anordnungsgrund (d. h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) und ein Anordnungsanspruch (d. h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. mit § 920 Abs. 2 ZPO). Dabei darf die einstweilige Anordnung des Gerichts wegen des summarischen Charakt...

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