Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. Verlassen des unmittelbaren Weges. versicherter Abweg. sachlicher Zusammenhang. Handlungstendenz. betriebliches Interesse. Sicherheitsgründe. Angestellte eines Juweliergeschäftes. Treffen mit Geschäftsführerin und Schlüsselinhaberin in einem Parkhaus
Orientierungssatz
Eine Angestellte eines Juweliergeschäftes, die ihren direkten Arbeitsweg verlässt, um sich aus Sicherheitsgründen mit der weisungsbefugten Geschäftsführerin und Schlüsselinhaberin (Begleitung auf dem Weg und beim Öffnen des Geschäftes) in einem Parkhaus zu treffen, steht auf diesem Abweg gem § 8 Abs 2 Nr 1 SGB 7 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 05.04.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2018 wird aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass die Klägerin am 20.02.2018 einen Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung erlitten hat.
3. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Fahrradunfall, den die Klägerin am 20.02.2018 erlitten hat, als Arbeitsunfall anzuerkennen ist.
Die am 09.12.1978 geborene Klägerin ist seit fast 20 Jahren bei dem Zeugen, dem Juwelier Herrn C. (im Folgenden: Zeuge C.), in A-Stadt (D-Straße) beschäftigt.
Nach dem Durchgangsarztbericht vom 20.02.2018 rutschte die Klägerin gegen 7:50 Uhr mit dem Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit auf Glatteis weg und erlitt eine hohe Fibulafraktur (Typ Weber C) rechts mit Fraktur des hinteren Volkmann-Dreiecks und Ruptur der vorderen Syndesmose. Am 21.02.2018 erfolgte die operative Versorgung.
Die Klägerin befand sich am Unfalltag zunächst auf dem direkten Weg von ihrer Wohnung zu ihrer Arbeitsstätte. Kurz vor Erreichen des Juweliergeschäftes verließ sie die C. Straße und bog in die D. ein, um weiter zum Parkhaus E. zu fahren. Dort wollte sie sich mit ihrer Kollegin, der Geschäftsführerin Frau F., treffen. Auf diesem Weg, der ca. 180 Meter lang und zu Fuß ca. 2 Minuten weit ist, ereignet sich der Unfall. Auf telefonische Nachfrage teilte die Klägerin mit, dass Frau F. die Schlüssel für das Juweliergeschäft habe. Sie fahre seit Jahren gewohnheitsmäßig immer mit dem Fahrrad zum Parkhaus, hole Frau F. dort ab und laufe mit ihr dann gemeinsam zum Juweliergeschäft. Es sei nicht so gut, morgens um 8 Uhr alleine ein Juweliergeschäft aufzuschließen.
Der Zeuge teilte am 27.03.2018 schriftlich mit, dass Frau F. über Schlüsselgewalt und Kenntnis der Entsicherung der Alarmanlage verfüge. Es sei seit Jahren geübte Praxis, dass die Klägerin die Geschäftsführerin Frau F. am Parkhaus E. treffe, damit Frau F. nach Möglichkeit nicht alleine dem Risiko des Öffnens des Juweliergeschäftes ausgesetzt sei. Dieser Weg gehöre nicht zur Arbeitszeit und werde auch nicht extra vergütet.
Mit Bescheid vom 05.04.2018 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 20.02.2018 als Arbeitsunfall mit der Begründung ab, dass sich die Klägerin zum Unfallzeitpunkt nicht auf einem versicherten Weg befunden habe. Versicherungsschutz bestünde nur auf dem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit. Der Versicherungsschutz werde unterbrochen, wenn der Versicherte den direkten Weg verlasse und sich auf einen Abweg begebe. Ein Abweg sei jeder Weg, der von dem Ziel des Weges weg oder darüber hinaus führe. Der Versicherungsschutz lebe erst mit der Rückkehr auf dem direkten Weg wieder auf.
Der hiergegen erhobene Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 23.05.2018).
Hiergegen richtet sich die am 18.06.2018 vor dem Sozialgericht Osnabrück erhobene Klage.
Die Klägerin legt eine schriftliche Stellungnahme von Frau F. vor, wonach sie sich am Parkhaus mit der Klägerin treffe, die sie aus Sicherheitsgründen zum Juweliergeschäft begleite, damit sie nicht allein die Alarmanlage entsichern und das Juweliergeschäft öffnen müsse.
Die Klägerin trägt vor, sie habe den direkten Arbeitsweg nicht aus privatwirtschaftlichen Gründen verlassen. Vielmehr diene der Weg zum Parkhaus und zurück einem dem Unternehmen dienenden Zweck. Es gehe nicht nur um das Aufschließen des Geschäftes. Auch die Begleitung von Frau F. erfolge aus Sicherheitsgründen. Daher müsse auch dieser Weg unter Versicherungsschutz stehen.
Die Klägerin beantragt,
1. den Bescheid der Beklagten vom 05.04.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2018 aufzuheben,
2. festzustellen, dass sie am 20.02.2018 einen Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung erlitten hat.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verweist auf die Gründe der angefochtenen Bescheide. Der Abweg sei unter Berücksichtigung des Hin- und Rückweges erheblich, insbesondere im Hinblick auf den Gesamtweg, der dadurch um ca. 20 % verlängert würde. Das Verhalten der Klägerin sei seit 20 Jahren zwar eine nette Geste, jedoch auch unter Berücksichtigung der Handlungstendenz nicht dem Unfallversicherungsschutz zuzurechnen.
Die Kamm...