Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Rechtswidrigkeit der Leistungsversagung für die gesamte Bedarfsgemeinschaft nach Verletzung von Mitwirkungspflichten nur durch ein Mitglied
Leitsatz (amtlich)
Aufgrund der an ein Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft gerichteten Mitwirkungsaufforderung kann nicht gegenüber dem anderen volljährigen Mitglied der Bedarfsgemeinschaft die Leistung nach dem SGB 2 versagt werden.
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass der Bescheid des Beklagten vom 29. März 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. April 2011 gegenüber dem Kläger rechtswidrig war.
2. Der Beklagte hat dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Versagungsbescheides.
Der mit seiner Ehefrau eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3.a) Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) bildende Kläger beantragte gemeinsam mit seiner Ehefrau erstmals Ende des Jahres 2006 Leistungen auf der Grundlage des SGB II. Seine Ehefrau betreibt selbstständig ein Einzelhandelsunternehmen (An- und Verkauf von Hifi-Geräten, Computern, Unterhaltungselektronik und Zubehör). Der Kläger ist bei ihr angestellt. Auf den Fortzahlungsantrag aus August 2010 hin, bewilligte der Beklagte dem Kläger und seiner Ehefrau zunächst vorläufig Leistungen mit Bescheid vom 15. September 2010 für den Zeitraum Oktober 2010 bis November 2011 mit der Begründung, die abschließenden Angaben zum Einkommen seien noch abzuwarten. Ebenfalls unter dem 15. September 2010 forderte er die Ehefrau des Klägers zur Mitwirkung auf. Die Mitwirkung sollte darin bestehen, dass die Ehefrau des Klägers den beiliegenden Vordruck “Abschließende Angaben zum Einkommen aus selbstständiger Arbeit„ nach Ablauf des Bewilligungszeitraums mit den entsprechenden Nachweisen über die Ein- und Ausgaben bis zum 31. Mai 2011 einreichen sollte. Im vorletzten Absatz des Schreibens heißt es:
“Bitte beachten Sie:
Haben Sie bis zum genannten Termin nicht reagiert oder die erforderlichen Unterlagen nicht eingereicht, können die Geldleistungen ganz versagt werden, bis Sie die Mitwirkung nachholen (§§ 60, 66, 67 SGB I). Dies bedeutet, dass Sie und die mit Ihnen in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen keine Leistungen erhalten.„
Nachdem die Ehefrau des Klägers einen Arbeitsvertrag zwischen sich und ihrer Schwiegermutter über eine geringfügige Tätigkeit im Haushalt der Schwiegermutter eingereicht hatte, erließ der Beklagte der Ehefrau des Klägers gegenüber eine erneute Aufforderung zur Mitwirkung vom 29. Oktober 2010, in der er ihre Einkommensbescheinigung anforderte. Zugleich erließ er einen vorläufigen Änderungsbescheid unter diesem Datum. Nach Antrag auf Weiterbewilligung der Leistungen des Klägers und seiner Ehefrau aus Februar 2011 forderte der Beklagte die Ehefrau des Klägers unter dem 03. März 2011 erneut zur Mitwirkung auf. Darin wurden noch Nachweise hinsichtlich der betrieblichen Tätigkeit der Ehefrau des Klägers verlangt, nämlich der Gewerberaummietvertrag, ein Fahrtenbuch sowie die Darlehensverträge, aus denen die Tilgung bestehender betrieblicher Darlehen ersichtlich sein sollte. Weiterhin sollte die Ehefrau des Klägers mitteilen, was sie unter “sonstigen Betriebsausgaben„ versteht. Es wurde der Ehefrau des Klägers eine Frist bis 20. März 2011 verbunden mit der bereits zuvor zitierten Rechtsfolgenbelehrung gewährt. In einer persönlichen Rücksprache am 10. März 2011 beim Beklagten teilte die Ehefrau des Klägers mit, den Gewerberaummietvertrag und die Darlehensverträge bereits eingereicht zu haben sowie kein Fahrtenbuch zu führen. Weiterhin bat sie darum, bei eventuellen Rückfragen ihre Steuerberaterin zu kontaktieren und übergab die Kontaktdaten. Mit an die Ehefrau des Klägers adressiertem Bescheid vom 29. März 2011 erließ der Beklagte einen Versagungsbescheid nach § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I), in dem es auszugsweise heißt:
“Sehr geehrte Frau G,
die o. a. Leistungen werden ab 01.04.2011 ganz versagt. Die Versagung betrifft die Leistungen aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft.
Die fehlenden Unterlagen/Nachweise, welche mit meinem Schreiben vom 03.03.2011 angefordert worden sind und für die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen zwingend benötigt werden, wurden trotz Belehrung über die Rechtsfolgen nicht vollständig vorgelegt.
Dadurch sind Sie Ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen und haben die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert. Die Anspruchsvoraussetzungen können deshalb nicht geprüft werden. Grundlage für diese Entscheidung sind die §§ 60 und 66 SGB I.„
Es folgen Ermessenerwägungen sowie der Hinweis:
“Falls Sie die Mitwirkung noch nachholen, werde ich prüfen, ob die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind und ich die Leistungen ganz oder teilweise nachzahlen kann.„
Hiergegen legte die Ehefrau des Klägers mit Eingang 04. April 2011 Widerspruch ein, in dem sie mitteilte, den Gewerbemietvertrag sowie den Darlehensver...