Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Kostenerstattung bei Aufenthalt in einer Einrichtung. Erstattungsanspruch des örtlichen Sozialhilfeträgers gegen den überörtlichen Sozialhilfeträger. Nichtermittelbarkeit eines gewöhnlichen Aufenthalts. sachliche Zuständigkeit des örtlichen Sozialhilfeträgers. keine abweichende Regelung durch Landesrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Kostenerstattungsansprüche des örtlichen Trägers der Sozialhilfe gegen den überörtlichen Träger nach § 106 Abs 1 S 2 SGB 12 sind in Mecklenburg Vorpommern nicht nach § 112 SGB 12 landesrechtlich ausgeschlossen.

 

Tenor

Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die für den Hilfeempfänger H., geboren am 00.00.1939, in der Zeit vom 01.01.2007 bis zum 10.03.2011 aufgewendeten Sozialhilfekosten in Höhe von insgesamt 79.443,52 € zu erstatten.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Kostenerstattung für die dem Hilfeempfänger H. in der Zeit vom 01.01.2007 bis 10.03.2011 gewährten Leistungen der Sozialhilfe.

Der am 00.00.1939 in Tapiau in Ostpreußen geborene Hilfeempfänger kam am 01.03.1951 aus der Landesheil- und Pflegeanstalt S. in B-Stadt in die Pflegeanstalt M. in A-Stadt. Dort war er bis zu seinem Tod am 10.03.2011 untergebracht.

In einer Anmeldung bei der polizeilichen Meldestelle vom 09.03.1951 wird bescheinigt, dass der Hilfeempfänger am 01.03.1951 nach A-Stadt in den M. zugezogen ist und zuvor in B-Stadt, S., wohnhaft war. Angaben zu den Eltern des Hilfeempfängers finden sich dort nicht.

In einem Schreiben des Direktors und Chefarztes der Heil- und Pflegeanstalt S. vom 07.03.1951 heißt es: “Bei H., geb. 0.0.39 aus Liessow Krs. Güstrow handelt es sich um einen scheuen Jungen, der sich absondert und in den Ecken herumsitzt. Körperlich ist er seinem Alter entsprechend entwickelt. Geistig ist der junge stumpf-idiotisch, ohne Sprachverständnis. Zeitweise unsauberer mit Kot und Urin. - Die Mutter des H. Frau Hö. befindet sich in M. Krs. Bitterfeld.„

Umfangreiche Recherchen der Klägerin zum gewöhnlichen Aufenthalt des Hilfeempfängers zwischen seiner Geburt und dem 01.03.1951 blieben erfolglos. Unterlagen zum gewöhnlichen Aufenthalt des Hilfeempfängers in dieser Zeit fanden sich weder im Archiv der Stadt L. noch im Archiv des Landkreises A-Stadt. Die Stadt Bitterfeld konnte mit Schreiben vom 17.08.2006 lediglich bestätigen, dass die Mutter des Hilfeempfängers von 1951-1975 in Bitterfeld wohnte und dann nach Wolfen verzog. Zum Hilfeempfänger selbst konnten keine Unterlagen gefunden werden. Auch im Archiv der Gemeinde Wolfen konnten keine Angaben zum Hilfeempfänger gefunden werden.

Eine Anfrage beim Datenschutzbeauftragten der Helios-Klinik in B-Stadt als Betreuer des Archivs der früheren Heil- und Pflegeanstalt S. vom 15.05.2007 erbrachte die telefonische Auskunft, dass gleich nach Heimaufnahme des Hilfeempfängers in B-Stadt die Rechnungslegung an den Kreis Güstrow erfolgt sei. Warum, könne nicht mehr nachvollzogen werden. Es werde vermutet, dass keine Angehörigen da waren beziehungsweise Leistungsunfähigkeit der Angehörigen vorlag. Als alte Wohnanschrift sei auf diesen Rechnungen Klein Roge, Krs. Güstrow, vermerkt.

Eine weitere Anfrage beim Amt Mecklenburgische Schweiz erbrachte keine Meldeunterlagen zum Hilfeempfänger.

Mit Schreiben vom 01.02.2007, beim Beklagten eingegangen am 06.02.2007, meldete die Klägerin beim Beklagten die Kostenerstattung für den Hilfefall des Hilfeempfängers gemäß § 106 Abs. 1 S. 2 SGB XII i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 3 AG SGB XII an und wies darauf hin, dass es nach umfangreicher Recherche nicht gelungen sei, den gewöhnlichen Aufenthalt des Hilfeempfängers zu ermitteln.

Mit Schreiben vom 07.02.2011 lehnte der Beklagte die Kostenerstattung für den Hilfefall ab.

Mit ihrer Klage vom 22.12.2011 verfolgt die Klägerin ihr Kostenerstattungsbegehren weiter. Zur Begründung trägt sie vor, der Hilfeempfänger lebe seit dem 01.03.1951 ununterbrochen in der Pflegeeinrichtung M. in A-Stadt, davor habe er in der Heil- und Pflegeanstalt S. in B-Stadt gelebt. Der Hilfeempfänger habe der stationären Hilfe bedurft, weil er aufgrund einer frühkindlichen Hirnschädigung schwer geistig behindert gewesen sei. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungshilfe gemäß §§ 53 ff. SGB XII an den Hilfeempfänger hätten vorgelegen. Daher habe sie die Kosten der Unterbringung und Betreuung aus Mitteln der Eingliederungshilfe erbracht. Für den Zeitraum vom 01.01.2007 bis 31.03.2011 beziffert die Klägerin die für die Hilfe an den Hilfeempfänger aufgewendeten Leistungen mit insgesamt 79.443,52 €. Ein gewöhnlicher Aufenthalt des Hilfeempfängers vor der erstmaligen Heimaufnahme habe nicht ermittelt werden können. Die Klägerin meint daher einen Anspruch auf Kostenerstattung gegen die Beklagte aus § 106 Abs. 1 S. 2 SGB XII zu haben.

Nachdem die Klägerin zunächst schriftsätzlich eine Kostenerstattung in Höhe von 80.814,78 € zuzüglich Zinsen begehrt hatte, beantragt sie nunmehr,

den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin die für d...

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