Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankengeld. Entstehung des Anspruchs durch einmalige ärztliche Feststellung bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit. Ende des Anspruchs weder auf Grund ärztlicher Prognose noch durch Ende des Bewilligungsabschnitts. keine weitere Meldung der Arbeitsunfähigkeit erforderlich für den Fortbestand des Anspruchs
Leitsatz (amtlich)
1. Das SGB 5 gewährt den mit Krankengeldanspruch Versicherten einen Anspruch auf Krankengeld ua dann, wenn eine Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Dieser Anspruch kann nur auf Grund einer gesetzlichen Grundlage eingeschränkt werden (vgl § 31 SGB 1). Bei der Auslegung der maßgeblichen Vorschriften ist sicherzustellen, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden (§ 2 Abs 2 SGB 1).
2. § 46 S 1 Nr 2 SGB 5 regelt lediglich die Entstehung des Anspruchs auf Krankengeld. Die ärztliche Feststellung im Sinne des § 46 S 1 Nr 2 SGB 5 besteht in der tatsächlichen Wahrnehmung des Arztes, sofern dieser auf Grund seiner Befunderhebung zu der Erkenntnis gelangt, der Versicherte sei aus gesundheitlichen Gründen derzeit nicht arbeitsfähig. Die Feststellung ist nicht formgebunden. Eine ärztliche "Bescheinigung" verlangt § 46 SGB 5 im Gegensatz zu § 5 Abs 1 EFZG (juris: EntgFG) nicht.
3. Eine Bestimmung, dass der einmal entstandene Anspruch auf Krankengeld nur fortbesteht, soweit weitere ärztliche Feststellungen erfolgen, enthält das SGB 5 nicht. Daher kann auch nicht das Ende des Anspruchs daraus gefolgert werden, dass der Versicherte keine weiteren ärztlichen Feststellungen veranlasst hat. Maßgeblich ist das tatsächliche Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit (vgl SG Trier vom 24.4.2013 - S 5 KR 77/12 und SG Mainz vom 24.9.2013 - S 17 KR 247/12).
4. Der Anspruch auf Krankengeld ruht nach § 49 Abs 1 Nr 5 SGB 5 lediglich bis zur erstmaligen Meldung der Arbeitsunfähigkeit, wenn die Meldung nicht innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit erfolgt. Ist eine Meldung erfolgt, sind bei Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit keine weiteren Meldungen durch den Versicherten erforderlich, um ein späteres Ruhen des Anspruchs zu verhindern (entgegen BSG vom 8.2.2000 - B 1 KR 11/99 R = SozR 3-2500 § 49 Nr 4 = BSGE 85, 271, vom 8.11.2005 - B 1 KR 30/04 R = BSGE 95, 219 = SozR 4-2500 § 46 Nr 1 sowie vom 10.5.2012 - B 1 KR 19/11 R = BSGE 111, 9 = SozR 4-2500 § 192 Nr 5 und B 1 KR 20/11 R = BSGE 111, 18 = SozR 4-2500 § 46 Nr 4).
Tenor
Die Beklagte wird unter Änderung des Abhilfebescheides vom 12.07.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.09.2011 verurteilt, der Klägerin Krankengeld in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 30.10.2010 bis zum 03.01.2012 zu zahlen.
Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung von weiterem Krankengeld für die Zeit vom 30.10.2010 bis zum 03.01.2012.
Die 1974 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin stand seit September 2006 in einem Beschäftigungsverhältnis in der Kinderarztpraxis der Frau Dr. F… als Arzthelferin in Vollzeit. Diese Beschäftigung war zuletzt bis Anfang August 2010 wegen einer einjährigen Elternzeit nach der Geburt des zweiten Kindes der Klägerin unterbrochen.
Für die Zeit vom 04.08.2010 bis zum 11.08.2010 attestierte zunächst der behandelnde Frauenarzt der Klägerin Arbeitsunfähigkeit wegen der Diagnosen “Schmerzen mit Lokalisation in anderen Teilen des Unterbauches„ (R10.3 G) sowie “Depressive Episode„ (F32.9 G) mit einer Erstbescheinigung. Am 12.08.2010 stellte der behandelnde Hausarzt Dr. He… eine weitere Erstbescheinigung mit Arbeitsunfähigkeit bis zum 27.08.2010 zunächst wegen der Diagnose “Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung„ (Z73 G) aus. In der Folgezeit attestierte Dr. H… die fortbestehende Arbeitsunfähigkeit ab dem 30.08.2010 lückenlos, zuletzt mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 08.10.2010 bis zum 29.10.2010, wobei er ab dem 16.09.2010 als weitere Diagnosen “Sonstige näher bezeichnete Risikofaktoren in der Eigenanamnese, anderenorts nicht klassifiziert; hier Missbrauch„ (Z91.8 G), “mittelgradige depressive Episode„ (F32.1 G) sowie “Verdacht auf emotional instabile Persönlichkeitsstörung, hier Borderlinetyp„ (F60.31 V) angab.
Für die Zeit vom 04.08.2010 bis zum 14.09.2010 erhielt die Klägerin Entgeltfortzahlung von ihrer Arbeitgeberin.
Ausweislich der Verwaltungsakte der Beklagten sprach die Klägerin am 14.09.2010 persönlich in der Geschäftsstelle der Beklagten zur Erlangung von Krankengeld vor. Sie teilte mit, am 29.10.2010 einen Termin bei dem Neurologen Dr. Ha… zu haben. Eine Psychotherapie sei eingeleitet. Ausweislich der Verwaltungsakte der Beklagten lag zu diesem Zeitpunkt ein bereits am 08.09.2010 von der Klägerin ausgefüllter Fragebogen vor, in dem diese angegeben hatte, ihre Arbeitsunfähigkeit werde voraussichtlich “längerfristig„ dauern. Es bestünden ein Burn-Out-Syndrom, depressive Verstimmungszustände wegen sexuellen Missbrauchs in der Kin...