Entscheidungsstichwort (Thema)
Versorgung mit Sportrollstuhl zur Teilnahme am Rehabilitationssport. kein Anspruch in der gesetzlichen Krankenversicherung. bedürftiger Behinderter. Anspruch als Eingliederungsleistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft
Leitsatz (amtlich)
1. In der gesetzlichen Krankenversicherung haben Versicherte keinen Anspruch auf die Versorgung mit Sportrollstühlen zur Teilnahme am Rehabilitationssport im Sinne des § 44 Abs 1 Nr 3 SGB 9 (Anschluss und Fortentwicklung des Urteils des BSG vom 18.5.2011 - B 3 KR 10/10 R = SozR 4-2500 § 33 Nr 35).
2. Ein im Sinne des § 19 Abs 3 SGB 12 bedürftiger Behinderter hat jedoch im Rahmen der Eingliederungsleistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gemäß §§ 53ff SGB 12 iVm § 55 Abs 2 Nr 1 SGB 9 einen Anspruch auf die Bereitstellung der zur Teilnahme am Rehabilitationssport erforderlichen Hilfsmittel (hier Sportrollstuhl zur Ausübung des Rollstuhl-Rugby).
Tenor
1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 10. Juni 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2009 verurteilt, dem Kläger Sachleistungen in Form des Sportrollstuhles Rugby Offensiv zu gewähren.
2. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand
Streitig ist die Versorgung mit dem Sportrollstuhl Rugby Offensiv.
Bei dem am 12. Februar 1984 geborene Kläger besteht eine inkomplette Paraplegie infolge Spina bifida. Er ist zum Ausgleich seiner hierdurch bedingten Behinderungen u.a. mit einem Aktivrollstuhl versorgt. Am 30. Juni 2006 wurde ihm die Teilnahme am Rehabilitationsport für die Dauer von 36 Monaten ärztlich verordnet.
Nach Eingang eines Kostenvoranschlags der Firma XXX vom 27. November 2008 über die Lieferung eines Rollstuhls Modell “Rugby Offensiv„ zum Preis von 4.978,57 €, holte die Beklagte eine Stellungnahme der XXX-Klinik A-Stadt zur medizinischen Notwendigkeit der Verordnung ein. Der Ärztliche Direktor der Klinik, FA für Chirurgie Dr. med. XXX, führte dort aus, dass die Versorgung mit dem Sportrollstuhl zur Teilnahme am Rehabilitationssport, die letztlich durch den Träger der Gesetzlichen Krankenversicherung befürwortet und kostentechnisch getragen würde, anzeigt sei. Der Kläger habe bereits im Rahmen früherer Behandlungen Zugang zu aktivem Rehabilitationssport erhalten und habe auch im weiteren Verlauf an Bewegungsspielen teilgenommen. Der jetzt verfügbare Rollstuhl könne für derartige Bewegungsspiele nicht genutzt werden, nicht zuletzt aus Gründen der Materialbeschaffenheit, da ein für den Rehabilitationssport geeigneter Rollstuhl deutlich höheren Belastungen standhalten müsse. Anlässlich der in der Klinik zuletzt durchgeführten paraplegiologischen Kontrolluntersuchung im Rahmen der lebenslangen Nachsorge querschnittsgelähmter Patienten habe sich gezeigt, dass eine Teilnahme am Rehabilitationssport für den Kläger gesundheitsfördernd sei. Der Kläger habe zwischenzeitlich eine deutliche konditionelle Verbesserung und auch eine Kraftzunahme der restenervierten Muskulatur gezeigt.
Die Beklagte veranlasste daraufhin eine sozialmedizinische Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK). Die Gutachterin DM XXX und der ebenfalls befragte Orthopädietechniker XXX führten in ihrer Stellungnahme vom 20. Mai 2009 aus, dass die Voraussetzungen für die Versorgung mit dem Sportrollstuhl nicht erfüllt seien. Der beantragte Sportrollstuhl sei speziell dafür ausgelegt, innerhalb von Sporthallen einen Mannschaftsport auszuüben. Wegen der nicht zu verhindernden Rollstuhlzusammenstöße während des Spieles seien diese Rollstuhltypen konstruktiv so aufgebaut, dass ein breiter Stoßfänger rund um den Rollstuhl die Gliedmaßen des Fahrers schützt. Die Saalsportbereifung sei besonders dünn und hart ausgelegt und mit bis 20bar Luftdruck versehen, um den Rollwiderstand zu vermindern. Dadurch sei die Bereifung im Außenbereich kaum verwendbar. Dem Kläger sei ein alltagstauglicher Aktivrollstuhl bereitgestellt worden. Dass Reha-Sport für Rollstuhlfahrer medizinisch sinnvoll sei, könne nur bestätigt werden. Der speziell für den Mannschaftssport Rugby konstruierte Sportrollstuhl würde jedoch nicht in die Leistungspflicht der Krankenkasse fallen. Dies sei nur dann der Fall, wenn der Sportrollstuhl von Kindern/Jugendlichen für die Teilnahme am Schulsport benötigt werde.
Mit Bescheid vom 4. Juni 2009 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers unter Hinweis auf die Stellungnahme des MDK ab. Sportrollstühle seien speziell für sportliche Aktivitäten konzipiert bzw. zugerichtet. Diese Aktivitäten seien dem Freizeitbereich des Versicherten zugeordnet und würden nicht in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung fallen.
Im Rahmen des am 23. Mai 2009 erhobenen Widerspruchs machte der Kläger geltend, es sei nicht zutreffend, dass es sich bei sportlicher Betätigung lediglich um eine Freizeitbeschäftigung handeln würde. Ausdruck dessen sei der gesetzlich geregelte Rehabilitationssport, auf den ein Anspruch bestehen würde....