Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Wirtschaftlichkeitsprüfung. Arzneimittelkostenregress. Prüfung der Verordnungsweise von Cannabisblüten. § 31 Abs 6 S 2 SGB 5. Verordnung bis zum Zeitpunkt des tatsächlichen Vorliegens der Genehmigung unzulässig. keine Ermessensausübung der Gemeinsamen Prüfungsstelle bei der Festsetzung des Regresses. sozialgerichtliches Verfahren. Zulässigkeit einer Anfechtungsklage ohne Durchführung eines Vorverfahrens. Ausnahmeregelung des § 106c Abs 3 S 6 SGB 5
Orientierungssatz
1. Zum Streit über einen Arzneimittelkostenregress infolge der Prüfung der Verordnungsweise im Einzelfall in den Quartalen 4/2018 bis 2/2019 bzgl der Verordnung von Cannabisblüten.
2. Dass die Genehmigung der Krankenkasse gem § 31 Abs 6 S 2 SGB 5 nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnen ist, führt nicht dazu, dass die Verordnung im Regelfall zulässig ist. § 31 Abs 6 S 2 SGB 5 bringt trotz dessen klar zum Ausdruck, dass die Verordnung bis zum Zeitpunkt des tatsächlichen Vorliegens der Genehmigung unzulässig ist.
3. Die Gemeinsame Prüfungsstelle hatte bei der Festsetzung des Regresses wegen unzulässiger Arzneimittelverordnung kein Ermessen auszuüben (vgl BSG vom 30.10.2013 - B 6 KA 2/13 R = SozR 4-2500 § 106 Nr 43 RdNr 11f; BSG vom 11.9.2019 - B 6 KA 21/19 R = SozR 4-2500 § 106 Nr 60 RdNr 16). Bei Regressen, denen unzulässige Verordnungen zugrunde liegen, kann eine Unwirtschaftlichkeit nur bejaht oder verneint werden. Wenn der Vertragsarzt bei der Verordnung die entsprechenden Regeln des vertragsärztlichen Systems nicht eingehalten hat, besteht keine - auch nicht zu einem gewissen Anteil - entsprechende Zahlungspflicht der Krankenkassen (vgl BSG vom 12.12.2018 - B 6 KA 13/18 B = juris RdNr 11f).
4. Die Ausnahmeregelung des § 106c Abs 3 S 6 SGB 5 ist auf Fälle beschränkt, in denen sich die Unzulässigkeit der Verordnung unmittelbar und eindeutig aus dem Gesetz selbst oder aus den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses ergibt. Zudem muss sich der Ausschluss aus spezifischen Regelungen des Krankenversicherungsrechts ergeben. Der Gesetzgeber wollte die Beschwerdeausschüsse allein von Fallgestaltungen entlasten, die eher technischen Charakter haben und ganz überwiegend in der Umsetzung eindeutiger normativer Vorgaben bestehen (vgl BSG vom 2.7.2014 - B 6 KA 25/13 R = SozR 4-2500 § 106 Nr 45 RdNr 16ff).
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese jeweils selbst zu tragen haben.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen einen Arzneimittelkostenregress infolge der Prüfung der Verordnungsweise im Einzelfall in den Quartalen 4/2018 bis 2/2019 bzgl. der Verordnung von Cannabisblüten.
Der Kläger ist als Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie zur vertragsärztlichen Versorgung in U.-W. zugelassen.
Mit Schreiben vom 25.06.2020 bzgl. der Quartale 4/2018 und 1/2019 und Schreiben vom 26.06.2020 bzgl. des Quartals 2/2019 (jeweils eingegangen bei der Beklagten am 02.07.2020) stellte die Beigeladene Ziff. 1 einen Antrag auf Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise im Einzelfall. Beanstandet wurde die Verordnung von cannabishaltigen Arzneimitteln für den Patienten D. B., geb. 1976, da keine Genehmigung durch die Krankenkasse gem. § 31 Abs. 6 Satz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) vorliege. Die Beigeladene Ziff. 1 übersandte eine Aufstellung der beanstandeten Verordnungen sowie die Rezeptimages.
Mit Schreiben vom 07.07.2020 informierte die Beklagte den Kläger über die Anträge der Beigeladenen Ziff. 1 und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme.
Mit Schreiben vom 11.07.2020 legte der Kläger einen Auszug aus der Patientenakte vor und führte an, dass der Patient D. B. in seiner Praxis als einziger eine Cannabistherapie erhalte und dem Kläger daher die Erfahrung in den Formalien fehle. Die Therapie sei umgehend eingestellt worden. Eine schriftliche Genehmigung liege tatsächlich nicht vor. Er habe den Patienten zunächst zu einem Schmerztherapeuten überwiesen. Der Patient sei mit Verordnungsvorschlägen zurückgekommen, sodass er davon ausgegangen sei, dass die Formalitäten korrekt eingehalten worden seien. Der Patient habe die Therapie bis zum aktuellen Zeitpunkt weiter erhalten. Sollten sich die Regressansprüche bestätigen, werde darum gebeten, die Zeitverzögerung zu berücksichtigen. Der Patient habe von der Therapie maximal profitiert und müsse sich beschleunigt eine Alternative überlegen. Die therapeutischen Möglichkeiten des Klägers seien an dieser Stelle ausgeschöpft. Eine mögliche Rückzahlung sei für den Kläger in der aktuellen wirtschaftlichen Situation sehr schwierig. In der beigefügten Patientendokumentation ist vermerkt, dass der Patient sich erstmals am 14.07.2018 bei dem Kläger vorstellte. Am 17.12.2018 erfolgte eine Überweisung zu Dr. E. zum Zweck der Schmerztherapie. Am 20.12.2018 berichtete der Patient dem Kläger über den Termin bei dem Schmerztherapeuten, der der Verwe...