Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenhausbehandlung. bariatrische Operation. Kostenübernahme in Sonderfällen mit BMI von deutlich über 40
Orientierungssatz
Es ist angemessen, wenigstens in den Sonderfällen, in denen der BMI im oberen Bereich liegt und den Wert von 40 kg/qm deutlich überschreitet, eine Magenverkleinerungsoperation krankenversicherungsrechtlich auch dann zu bewilligen, wenn die hinreichend glaubhaften und ernsthaften eigeninitiativen Bemühungen des Versicherten zur Gewichtsreduktion nicht den strengen Vorgaben zu einem sechs- bis zwölfmonatigen multimodalen und ärztlich geleiteten bzw überwachten Therapiekonzept entsprechen (vgl ua LSG Darmstadt vom 5.7.2016 - L 1 KR 116/15, LSG Darmstadt vom 22.5.2014 - L 8 KR 7/11).
Tenor
1. Die Bescheide vom 03.05.2016 und vom 21.06.2016, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.03.2017, werden aufgehoben, und die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die Kosten für die selbstbeschaffte adipositaschirurgische Operation in Höhe von 7.514,75 Euro zu erstatten.
2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung von Kosten für eine bariatrische Operation.
Bei der 1985 geborenen Klägerin war im Mai 2010 bei einer Größe von 1,59 m und 104 kg auf eigene Kosten ein Magenband implantiert worden. Nach einer ersten Gewichtsabnahme nahm die Klägerin trotz gesunder und Magenbandgerechter Ernährung wieder zu. Wegen Komplikationen musste das Magenband am 17.03.2016 entblockt werden.
Am 21.04.2016 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine erneute Magenband-Operation bei einem Gewicht von 107 kg. Am 26.04.2016 bat die Beklagte die Klägerin telefonisch um Vorlage weiterer Unterlagen (selbst verfasste Beschreibung der Beschwerden, Ernährungstagebuch). Mit Bescheid vom 03.05.2016 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, dass die am 26.04.20216 angeforderten Unterlagen nicht vorgelegt worden seien und ohne die Mitwirkung der Klägerin eine Kostenübernahme nicht möglich sei.
Die Klägerin legte bei der Beklagten am 20.05.2016 einen ärztlichen Bericht von Herrn Dr. med. C., Chefarzt der Chirurgie im Krankenhaus Sachsenhausen, vom 04.05.2016 vor: Bei der Magenband-Operation im Jahr 2015 sei ein ungenügendes Ergebnis erzielt worden. Es liege weiterhin eine drittgradige Adipositas vor (BMI 41,92 kg/qm). Das derzeitige Magenband müsse entfernt werden und eine neue Magen-Bypass-Operation zur Behandlung der krankhaften Adipositas durchgeführt werden. Daraufhin stieg die Beklagte wieder in die Antragsprüfung ein, holte eine Stellungnahme beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein und informierte die Klägerin hierüber mit Schreiben vom 23.05.2016. In dem sozialmedizinischen Gutachten vom 17.6.2016 kam Frau Dr. D. zu dem Schluss, dass die zahlreichen konservativen Maßnahmen der Klägerin zur Gewichtsreduktion nicht den Qualitätskriterien der Leitlinie Prävention und Therapie der Adipositas entsprächen. Eine chirurgische Therapie solle nur erfolgen, wenn zuvor eine wenigstens sechs- bis zwölfmonatige konservative Behandlung stattgefunden habe, die die Beteiligung eines Arztes mit ernährungsmedizinischer Qualifikation und einer Ernährungsfachkraft, eine medizinische Eingangsuntersuchung und Betreuung, eine strukturierte Schulung in Gruppen, ein integriertes Therapiekonzept aus Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie und eine systematische Datendokumentation erfordere. Dementsprechend lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 21.06.2016 ab.
Hiergegen legte die Klägerin, vertreten durch einen Bevollmächtigten, am 20.07.2016 Widerspruch ein. Zur Begründung trug sie vor, dass sie an einer drittgradigen adipositas per magna mit einem BMI von 41 Punkten leide und diverse adipositasassoziierte Folge- und Begleiterkrankungen drohten. Die nichtchirurgischen konservativen Therapien seien erschöpft, sie könne auf herkömmlichem Weg keine nachhaltige signifikante Gewichtsreduktion erzielen. Der langfristige Misserfolg herkömmlicher Therapien bei adipösen Patienten ab einem BMI von 40 sei nachgewiesen. Ebenso sei der Erfolg der Adipositaschirurgie nachgewiesen. In dem hierzu beim MDK eingeholten sozialmedizinisches Gutachten vom 20.10.2016 schrieb Frau Dr. med. E., dass neue medizinische Informationen nicht vorgelegt worden seien. Es liege bei der psychiatrisch diagnostizierten Persönlichkeitsstörung ggf. sogar eine Kontraindikation vor. Weiterhin sei keine multimodale Therapie aus den Bausteinen Bewegungstherapie, Ernährungstherapie und Verhaltenstherapie unter ärztlicher Kontrolle durchgeführt worden.
Am 12.09.2016 wurde die streitgegenständliche Operation bei einem Gewicht der Klägerin von 117 kg durchgeführt. Die Kosten für die stationär durchgeführte Maßnahme (stationärer Aufenthalt vom 12.09.2016 bis 17.09.2016) betrugen 7.514,75 Euro.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 23.03.2017 mit der Begründung zurüc...