Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. sonstige Leistung. Passbeschaffungskosten. verwaltungsrechtliche Mitwirkungspflicht. Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Ermessensreduzierung. "keine Hilfe für die Vergangenheit". Ausnahme. Verpflichtungsklage. Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage
Leitsatz (amtlich)
1. Die aus § 3 AufenthG 2004 folgende Pflicht zur Passbeschaffung ist eine verwaltungsrechtliche Mitwirkungspflicht iS des § 6 Abs 1 AsylbLG.
2. Bei der Anwendung des § 6 AsylbLG ist die Funktion der Vorschrift im Leistungssystem des AsylbLG zu beachten, in jedem Einzelfall das Existenzminimum zu sichern. Eine derartige Ergebniskontrolle der Rechtsanwendung ist trotz der restriktiven Grundausrichtung des Gesetzes verfassungsrechtlich erforderlich, da sich durch einen seit Jahren fehlenden Inflationsausgleich, durch den Systemwechsel vom BSHG zum SGB 2 und SGB 12 und durch die Verlängerung der Frist des § 2 Abs 1 AsylbLG durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 (BGBl I S 1970) das Sonderrecht des AsylbLG sehr weit von den ursprünglich einmal tragenden gesetzgeberischen Erwägungen entfernt hat.
3. Einzelfall der Ermessensreduzierung auf Null bei begründeter Aussicht auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
4. Einzelfall fehlender Spruchreife wegen der Unabhängigkeitserklärung der Republik Kosovo.
Orientierungssatz
1. Grundsätzlich richtet sich der Erfolg einer Verpflichtungsklage nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Gerichts. Etwas anderes gilt jedoch, wenn der Hilfebedürftige die beanspruchten Kosten bereits aufgewendet hat und deren Erstattung in diesem Verfahren geltend macht. Für diesen Fall gilt, dass für die Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen der Zeitpunkt der durch den Hilfebedürftigen herbeigeführten Bedarfsdeckung maßgebend ist.
2. Zu den im Rahmen des § 6 Abs 1 AsylbLG für die Passbeschaffung zu erstattenden Kosten gehören neben den nachzuweisenden Passgebühren auch etwaige Fahrtkosten, Kosten für erforderliche Urkunden sowie für erforderliche Beglaubigungen.
3. Ausnahmsweise sind Leistungen durch den Sozialhilfeträger für bereits erbrachte Aufwendungen oder die Tilgung von Schulden zu erbringen, wenn es dem Hilfebedürftigen nicht zumutbar war, die Entscheidung des Sozialhilfeträgers abzuwarten (Anschluss an BVerwG vom 30.4.1992 - 5 C 12/87 = BVerwGE 90, 154 = NDV 1992, 337).
Tenor
Der Bescheid des Beklagten vom 13. November 2006 und der Widerspruchsbescheid vom 3. April 2007 werden aufgehoben.
Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin zu 1) Passbeschaffungskosten in Höhe von 283,30 € zu erstatten.
Der Beklagte wird verpflichtet, die Anträge der Kläger zu 2) und zu 3) unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
[Tenor i. d. F. des Berichtigungsbeschlusses vom 13. Juni 2008]
Tatbestand
Die Kläger, ursprünglich Staatsangehörige der damaligen Staaten Bundesrepublik Jugoslawien bzw. Serbien und Montenegro und kosovo-albanische Volkszugehörige, begehren die Übernahme bzw. Erstattung der Kosten der Passbeschaffung.
Die Kläger beziehen laufende Leistungen nach dem AsylbLG. Hinsichtlich der Prüfung der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse wird auf den Bescheid der Beklagten vom 28. März 2007 (Bl. 20 Band II der Verwaltungsakten) verwiesen
.Ausweislich der Begründung des Widerspruchsbescheides vom 3. April 2007 bezog zunächst der Ehemann der Klägerin zu 1), später auch diese selbst Leistungen auf der Grundlage von § 2 AsylbLG. Die Kläger zu 2) und 3) erhalten Leistungen auf der Grundlage von § 3 AsylbLG.
Die Kläger sind Inhaber von Duldungen. In den Jahren 2005 und 2006 hat sich die Familie der Kläger zunächst erfolglos um Aufenthaltserlaubnisse bemüht. Mit Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 7. August 2007 (Az.: 4 E 1277/06 - Bl. 91ff. d. A.) wurde der Beklagte verpflichtet, den Klägern Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen. Ein Berufungszulassungsverfahren gegen das Urteil ist anhängig.
Mit Schreiben vom 27. September 2006 beantragten die Kläger die Übernahme der Kosten für die Beschaffung serbischer Pässe. Zu Begründung wurde ausgeführt, dass die Pflicht des Ausländers zur Passbeschaffung sich aus § 3 in Verbindung mit § 48 Abs. 2 und Abs. 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) ergebe. Im Falle der Erfüllung der Passpflicht werde das Ermessen der Behörden im Zusammenhang mit der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen eingeschränkt (z. B. § 25 Abs. 5 AufenthG). Hinsichtlich des Antrages und der weiteren Begründung wird auf Blatt 87 der Verwaltungsakte Bezug genommen.
Der Antrag wurde mit Bescheid vom 13. November 2006 abgelehnt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass in den Regelungsbereich des § 6 Satz 1 4. Var. AsylbLG nur diejenigen verwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflichten einzubeziehen seien, die in einem sachlichen Zusammenha...