2.2.1 Ärztlich geleitete Abteilung
Rz. 6
Satz 1 regelt, dass die Einrichtung der Behindertenhilfe über eine ärztlich geleitete Abteilung verfügen muss, wenn sie an der ambulanten ärztlichen Behandlung von Versicherten mit geistiger Behinderung teilnehmen will. Die ärztliche Leitung muss auf Dauer und in der Funktion leitender Arzt/stellvertretender leitender Arzt gewährleistet sein. Eine ständige ärztliche Verantwortung, die keine ständige Anwesenheit eines verantwortlichen Arztes verlangt, wäre nicht ausreichend. Die in der Abteilung der Behindertenhilfe tätigen Ärzte verfügen von ihrer beruflichen Aufgabenstellung her über spezifische fachliche Kompetenzen bei der Versorgung und Betreuung geistig behinderter Menschen, welche die niedergelassenen Vertragsärzte i.d.R. mangels entsprechender Aus-, Fort- oder Weiterbildung so nicht besitzen und daher bei ihrer vertragsärztlichen Behandlung nicht anwenden können. Diese Kompetenzen, die sich in besonderen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden oder Kenntnissen dieser angestellten Ärzte äußern können, sind aber häufig gefragt, wenn es um die ausreichende ambulante ärztliche Behandlung von Menschen mit geistiger Behinderung geht. Insoweit weist Satz 4 deklaratorisch darauf hin, dass die ärztlich geleiteten Einrichtungen mit den übrigen Leistungserbringern eng zusammenarbeiten sollen. Gemeint sind damit die Leistungserbringer nach dem Vierten Kapitel SGB V. Erst die enge Kooperation sichert die angestrebte Verbesserung der Qualität der ambulanten ärztlichen Versorgung der Menschen mit geistiger Behinderung.
Rz. 7
Nichtärztliches Personal der ärztlich geleiteten Einrichtung ist von der Vorschrift nur insoweit tangiert, als dessen Hilfeleistung von dem Arzt angeordnet oder von ihm zu verantworten ist. Insoweit wird auf § 28 Abs. 1 verwiesen.
2.2.2 Ärztliche Behandlung von Menschen mit geistiger Behinderung
Rz. 8
Die Vorschrift enthält ein Angebot an Menschen mit geistiger Behinderung, welches sie im Rahmen ihrer ambulanten ärztlichen Behandlung wahrnehmen können. Ihr Recht auf freie Arztwahl wird dadurch aber keineswegs eingeschränkt. Geistige Behinderung geht oft einher mit neurologischen, orthopädischen, psychiatrischen oder allgemeinmedizinischen Krankheiten. Kennzeichen der Medizin geistig behinderter Menschen bleibt die Häufung mehrerer Zusatzerkrankungen und damit verbunden eine Mehrfachtherapie wie z.B. bei Epilepsien oder psychiatrischen Erkrankungen. Besonders auffällig sind Häufungen bestimmter Begleiterkrankungen wie Seh- und Hörstörungen, Reflux von Magensaft, Zahnprobleme, orthopädische Probleme und psychische Störungen, die in der Normalbevölkerung viel seltener auftreten. Die behandelnden Ärzte müssen diese Komorbidität kennen und ihre Auswirkungen auf die Lebensqualität der geistig behinderten Patienten einschätzen. Nicht selten macht eine fehlende oder eingeschränkte Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit umfangreiche und apparative Untersuchungen sowie eine enge Zusammenarbeit mit Angehörigen und Betreuern notwendig.
Rz. 9
Nach Satz 2 ist die ambulante Behandlung in Einrichtungen der Behindertenhilfe auf solche Versicherten auszurichten, die wegen der Art und Schwere ihrer Behinderung auf die ambulante Behandlung in diesen Einrichtungen angewiesen sind. Daran wird deutlich, dass die ambulante ärztliche Behandlung in Einrichtungen der Behindertenhilfe der vertragsärztlichen Versorgung durch niedergelassene Vertragsärzte nachgeordnet bleibt. Sie soll die vertragsärztliche Behandlung ergänzen, jedoch nicht ersetzen, wobei der Maßstab für ein Tätigwerden der Einrichtung sich individuell am Grad der Behinderung ausrichtet. Nach der Gesetzesbegründung soll die Einrichtung jedoch auch aus Gründen der wohnortnahen Versorgung der Menschen mit geistiger Behinderung in Anspruch genommen werden können, so dass im Einzelfall geklärt werden muss, wie die wohnortnahe Versorgung durch niedergelassene, auf Menschen mit geistiger Behinderung spezialisierte Vertragsärzte geregelt ist. Leben die geistig behinderten Menschen in der Einrichtung der Behindertenhilfe, spricht dies oft dafür, dass eine Ermächtigung der Einrichtung sinnvoll sein dürfte.