Rz. 6
Abs. 1 erweitert die grundsätzlich auf das Inland und den Geltungsbereich des Rechts der europäischen Gemeinschaften und des EWR beschränkten Leistungsansprüche der Versicherten (§ 30 Abs. 1 SGB I, § 16 Abs. 1 Nr. 1, § 13 Abs. 4 bis 6 SGB V) auf das darüber hinausgehende Ausland. Abs. 1 greift ein, wenn Defizite in der inländischen Versorgung vorliegen, die sich darin zeigen, dass der Versicherte unter einer Krankheit leidet, bei der eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung nur außerhalb des Geltungsbereichs des EG-Vertrages bzw. des EWR-Abkommens möglich ist.
Rz. 6a
Hauptanwendungsfall der Vorschrift ist die Konstellation, dass eine bestimmte Krankheit erfolgversprechend nur im Ausland behandelt werden kann (vgl. BT-Drs. 11/2237, wo als Beispiele bestimmte Herz- oder Augenoperationen oder Hautkrankheiten genannt werden). Eine Behandlung ist insbesondere dann im Inland unmöglich, wenn ein im Ausland entwickeltes Therapieverfahren oder ein neues medizinisch-technisches Gerät für eine Erkrankung noch nicht verfügbar ist (BSG, Urteil v. 16.6.1999, B 1 KR 4/98 R, SozR 3-2500 § 18 Nr. 4).
Rz. 6b
Der Anwendungsbereich ist aber nicht darauf beschränkt, dass eine konkrete medizinische Behandlungsmaßnahme im Inland überhaupt nicht zu erlangen ist, sondern betrifft auch den Fall, dass eine Behandlung zwar im Inland mit den hier verfügbaren personellen und sächlichen Mitteln erfolgen kann, der im Ausland praktizierten anderen Methode jedoch ein qualitativer Vorrang gegenüber den in Deutschland angewandten Methoden gebührt (BSG, Urteil v. 17.2.2004, B 1 KR 5/02 R, SozR 4-2500 § 18 Nr. 2). Dies kann etwa der Fall sein, wenn im Inland nur eine symptomatische Therapie möglich ist, während im Ausland eine kausale, die Krankheitsursache beseitigende Therapie angeboten wird, die begehrte Behandlung der Inlandsbehandlung also aus medizinischen Gründen "eindeutig überlegen" ist. Aber auch dann, wenn eine Krankheit zwar generell im Inland behandelt werden kann, aber wegen des beim Versicherten bestehenden spezifischen Krankheitsbildes hier keinen Erfolg verspricht, kann § 18 zur Anwendung kommen (BSG, Urteil v. 23.11.1995, 1 RK 5/95, SozR 3-2500 § 18 Nr. 1). Nicht ausreichend ist es aber, wenn lediglich eine ganz bestimmte, vom Versicherten gewünschte Therapie nur im Ausland durchgeführt werden kann oder wenn das Leistungsangebot im Ausland wegen einer besonders modernen technischen Ausstattung oder wegen eines international herausragenden fachlichen Rufs des dortigen Arztes eine überdurchschnittliche Qualität aufweist. Denn die Spitzenmedizin bildet nicht den Maßstab für die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. BSG, Urteil v. 16.6.1999, B 1 KR 4/98 R, SozR 3-2500 § 18 Nr. 4; Urteil v. 14.2.2001, B 1 KR 29/00 R, SozR 3-2500 § 18 Nr. 6).
Rz. 6c
Darüber hinaus ist § 18 Abs. 1 auch einschlägig, wenn eine Behandlung im Inland zwar grundsätzlich möglich ist, aus Kapazitätsgründen und dadurch bedingte Wartezeiten aber nicht rechtzeitig erfolgen kann (BSG, Urteil v. 16.6.1999, B 1 KR 4/98 R, SozR 3-2500 § 18 Nr. 4; Urteil v. 14.2.2001, B 1 KR 29/00 R, SozR 3-2500 § 18 Nr. 6). Auch einer Kostenübernahme für die zu einem früheren Zeitpunkt mögliche Behandlung im Ausland sind indessen Grenzen gesetzt. So wird die Anwendbarkeit schon in der Gesetzesbegründung zu § 18 Abs. 1 darauf beschränkt, dass die früher als im Inland mögliche Auslandsbehandlung "aus medizinischen Gründen unbedingt erforderlich" ist (so BT-Drs. 11/2237 S. 166).
Rz. 6d
Zu beachten ist, dass § 18 Abs. 1 als Ausnahmevorschrift eng auszulegen ist (BT-Drs. 11/2237 S. 166). Die Vorschrift soll zwar helfen, Versorgungsdefizite ausgleichen, aber gleichzeitig auch der Gefahr des "Gesundheitstourismus" vorbeugen und hat auch im Blick, eine finanzielle Überforderung der Krankenkassen zu vermeiden (BSG, Urteil v. 17.2.2004, B 1 KR 5/02 R, SozR 4-2500 § 18 Nr. 2).
Rz. 7
Die Krankenkasse hat für die Beurteilung der Frage, ob eine Behandlung nur im Ausland möglich ist, den MDK einzuschalten (§ 275 Abs. 2 Nr. 3). Diese Erfordernis sollte ursprünglich als vor Behandlungsbeginn durch den MDK durchzuführende Prüfung unmittelbar in Abs. 1 geregelt werden (BT-Drs. 11/2237 S. 15), wurde später dann aber aus systematischen Gründen bei den weiteren, dem MDK in § 275 zugewiesenen Aufgaben angesiedelt. Für die Beurteilung der Frage, ob eine Behandlung im Ausland dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht, kommt es auf den Zeitpunkt der Behandlung an. Nachträgliche Änderungen in der Betrachtungsweise sind nicht beachtlich (BSG, Beschluss v. 8.2.2000, B 1 KR 18/99 B, SozR 3-2500 § 135 Nr. 12; Urteil v. 14.2.2001, B 1 KR 29/00 R, SozR 3-2500 § 18 Nr. 6).
Rz. 8
Eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse kommt nur dann in Betracht, wenn die Behandlung im Ausland dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht (BSG, Urteil v. 16.6.1999, B 1 KR 4/98 R, SozR 3-2500 § 18 Nr. 4; Urteil v. 6.3.2012, B...