0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstärkungsgesetz – GKV-VSG) v. 16.7.2015 (BGBl. I S. 1211) hat mit Wirkung zum 23.7.2015 § 22a neu eingefügt und damit einen neuen, eigenen Leistungsanspruch für Pflegebedürftige, Menschen mit Behinderungen und Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz auf Leistungen zur Verhütung von Zahnkrankheiten begründet.
Rz. 2
Art. 4 Nr. 1 des Zweiten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Zweites Pflegestärkungsgesetz – PSG II) v. 21.12.2015 (BGBl. I S. 2424) hat mit Wirkung zum 1.1.2017 die Wörter "einer Pflegestufe" durch die Wörter "einem Pflegegrad" ersetzt und die Wörter "oder dauerhaft erheblich in ihrer Alterskompetenz nach § 45a des Elften Buches eingeschränkt sind" gestrichen. Die Änderungen sind Folgeänderungen aufgrund des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs des SGB XI. Dieser sieht anstelle der bis dahin geltenden Einstufung in 3 Pflegestufen und der gesonderten Feststellung der erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz nunmehr eine Zuordnung zu einem der 5 Pflegegrade vor.
Rz. 2a
Das Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz – GVWG) v. 11.7.2021 (BGBl. I S. 2754) hat mit Wirkung zum 20.7.2021 durch Art. 1 Nr. 4 Abs. 1 Satz 1 redaktionell angepasst, da der leistungsberechtigte Personenkreis in der Eingliederungshilfe nunmehr in § 99 SGB IX definiert ist, nachdem das Recht der Eingliederungshilfe zum 1.1.2020 im SGB IX verankert wurde.
1 Allgemeines
Rz. 3
Vorsorge generell und Verhütung im Besonderen verfolgen das Ziel, bereits vor Eintritt einer Krankheit als dem konkreten Versicherungsfall einem gesundheitlichen Defizit entgegenzuwirken, das der Gesetzgeber gerade bei pflegebedürftigen und behinderten Menschen erkannt hat. Grundsätzlich umfasst bereits der Anspruch eines Versicherten auf zahnärztliche Behandlung nach § 28 Abs. 2 auch die Tätigkeit des Zahnarztes, die zur Verhütung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst erforderlich ist. Die Erkenntnis, dass die Mundgesundheit von Pflegebedürftigen, Menschen mit Behinderungen und Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz im Durchschnitt schlechter als die der übrigen Bevölkerung und ihr Risiko für Karies-, Parodontal- und Mundschleimhauterkrankungen überdurchschnittlich hoch ist, veranlasste den Gesetzgeber zur Begründung eines eigenen Anspruchs für den in § 22a genannten Personenkreis (amtliche Begründung BT-Drs. 18/4095 S. 72). Dieser Anspruch besteht neben der generellen Verpflichtung von Pflegepersonen im Rahmen der nach dem SGB XI gebotenen Maßnahmen, bei Versicherten, die nicht in der Lage sind, die für den Erhalt der Mundgesundheit erforderliche tägliche Mundpflege adäquat durchzuführen, diese zu unterstützen oder ggf. selbst durchzuführen. Der Gesetzgeber erkennt damit einen individuellen Anspruch von Versicherten, die einer Pflegestufe, ab 1.1.2017 einem Pflegegrad nach § 15 SGB XI zugeordnet sind oder Eingliederungshilfe nach § 53 SGB XII erhalten. auf individualprophylaktische Leistungen an, der inhaltlich dem Anspruch für Kinder und Jugendliche nach § 22 entspricht.
2 Rechtspraxis
2.1 Anspruchsberechtigter Personenkreis (Abs. 1 Satz 1)
Rz. 4
Anspruchsberechtigt sind gemäß Abs. 1 Satz 1 Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 5), die der Pflegestufe I, II oder III bzw. ab 1.1.2017 einem der 5 Pflegegrade, der mithilfe eines pflegefachlich begründeten Begutachtungsinstruments ermittelt wird, nach § 15 SGB XI zugeordnet sind oder Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 99 SGB IX erhalten.
Für die Versicherten, bei denen bis zum 31.12.2016 nicht mindestens die Pflegestufe I festgestellt worden war, reichte es bis zur Änderung ab 1.1.2017 (vgl. Rz. 2) aus, dass bei ihnen eine dauerhaft erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz festgestellt worden war. Dies betraf gemäß § 45a SGB XI in der bis zum 31.12.2016 geltenden Fassung durch das Erste Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (PSG I) v. 17.12.2014 (BGBl. I S. 2222) Personen mit demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen, bei denen der Medizinische Dienst der Krankenversicherung oder die von der Pflegekasse beauftragten Gutachter im Rahmen der Begutachtung als Folge der Krankheit oder Behinderung Auswirkungen auf die Aktivitäten des täglichen Lebens festgestellt hatten, die dauerhaft zu einer erheblichen Einschränkung der Alltagskompetenz geführt hatten, bei denen jedoch nur ein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung bestand, der nicht das Ausmaß der Pflegestufe I erreichte.
2.2 Anspruchsinhalt (Abs. 1 Satz 2)
Rz. 5
Abs. 1 Satz 2 beschreibt nicht abschließend ("insbesondere") den anspruchserfüllenden Leistungsbereich. Dazu gehört (vgl. die amtliche Begründung in BT-Drs. 18/4095 S. 72) zunächst die Erhebung eines Mundgesundheitsstatus, der es ermöglicht, den Grad der Mundhygiene, den Zustand der Zähne,...