Prof. Dr. Volker Wahrendorf
Rz. 3
Die Aufsicht über den Gemeinsamen Bundesausschuss hinsichtlich seiner gesetzlichen Aufgaben zum Erlass von Richtlinien und anderen normativen Entscheidungen führt nach Abs. 1 das BMG. Die §§ 87 bis 89 SGB IV gelten entsprechend. Die mit Wirkung zum 1.3.2017 aufgehobene Regelung in § 91 Abs. 8 ist damit im Wesentlichen übernommen worden. Die in einer eigenen Vorschrift zur Aufsicht geregelten Bestimmungen, die präziser als die bisherige Rechtslage gefasst worden sind, ist die Reaktion des Gesetzgebers auf Unregelmäßigkeiten, insbesondere bei Immobiliengeschäften und Gehaltsbemessungen (Becker/Kingreen/Hollo, SGB V, § 92a Rz. 1). Der Gesetzgeber verbindet mit der Vorschrift die Absicht, ein einwandfreies Verwaltungsverfahren zu gewährleisten, insbesondere um Kompetenzüberschreitungen zu verhindern (BT-Drs. 18/10605 S. 1). Die Aufsichtsbehörde sollte schneller und zielgerichteter eingreifen können (BT-Drs. 18/10605 S. 1 und BT-Drs. 18/11009 S. 2; vgl. auch Hannes, in: Hauck/Noftz, SGB V, § 91a Rz. 3). Aus der Vorschrift lässt sich schließen, dass Richtlinienentscheidungen nicht in den Anwendungsbereich der Vorschrift fallen. Die in dieser Vorschrift festgelegte Rechtsaufsicht folgt anders als Art. 28 GG für die Gemeinden keinem verfassungsrechtlichen Gebot (BSG, Urteil v. 13.12.2011, B 1 KR 7/11 R). Um deutlich zu machen, dass es sich bei der Aufsicht über den Gemeinsamen Bundesausschuss um eine Rechtsaufsicht, was an sich schon aus der dem Gemeinsamen Bundesausschuss zugesprochenen Selbstverwaltung folgt, handelt, ist zusätzlich auf die entsprechende Geltung des § 87 verwiesen worden. Nach 87 Abs. 1 Satz 2 erstreckt sich die Aufsicht auf die Beachtung von Gesetz und sonstigem Recht, das für die Versicherungsträger (hier für den Gemeinsamen Bundesausschuss) maßgebend ist. Zum sonstigen Recht gehören z. B. die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften, welche nach Art. 84 Abs. 2, 85 Abs. 2 und 86 Satz 1 GG zur Ausführung und Auslegung gesetzlicher Vorschriften erlassen sind. Diese Regelungen entsprechen nach dem Urteil des BSG v. 6.5.2009 (B 6 A 1/08 R) dem Grundsatz, dass die Staatsaufsicht gegenüber Selbstverwaltungsträgern prinzipiell auf eine Rechtsaufsicht begrenzt und für eine weiterreichende Zweckmäßigkeitskontrolle nur Raum ist, wenn der Gesetzgeber dies ausdrücklich angeordnet hat. Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis ist bereits im Wesen der Selbstverwaltung als "selbständige, fachweisungsfreie Wahrnehmung öffentlicher Angelegenheiten" angelegt. Darüber hinaus ergibt sich die Notwendigkeit der Staatsaufsicht über den Gemeinsamen Bundesausschuss aus den verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Konzept des SGB V zur Konkretisierung des Leistungsumfangs in der gesetzlichen Krankenversicherung durch verbindliche untergesetzliche Normen, welche der Gemeinsame Bundesausschuss als Selbstverwaltungsträger beschließt.
Die Aufsichtsbehörde hat bei ihrem Vorgehen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (BSG, Urteil v. 20.3.2018, B 1 A 1/17 R). Über den Verweis auf § 89 gilt die moderate Ausübung der Rechtsaufsicht. Bei einer Rechtsverletzung soll die Aufsichtsbehörde zunächst beratend einwirken und darauf hinwirken, dass der Gemeinsame Bundesausschuss die Rechtsverletzung behebt. Wird die Rechtsverletzung nicht behoben, kann die Aufsichtsbehörde den Rechtsträger verpflichten, den Fehler zu beheben. Erst danach sind Vollstreckungsmaßnahmen möglich. Das stufenweise Vorgehen ist Ausdruck einer maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht (BSG, Urteil v. 22.3.2005, B 1 A 1/03 R; Roters, in: BeckOGK, SGB V, § 91a Rz. 5).
Als allgemeine, auch über die Anwendung der aufsichtsrechtlichen Vorschriften des § 91a hinausgehende Bestimmung greift diese auch ein, wenn andere Institutionen wie der Ausschuss für Gesundheit in § 91 Abs. 2 Satz 5 eigene Mitwirkungsrechte haben (Roters, in: BeckOGK, SGB V, § 91a Rz. 3).
Die besonderen, über eine Rechtmäßigkeitsprüfung hinausgehenden Einwirkungsmöglichkeiten des BMG nach § 91 Abs. 4 im Bereich der Genehmigung der Geschäftsordnung und der Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses bleiben davon unberührt, werden aber auch kritisch im Hinblick auf die Einhaltung einer moderaten Rechtsaufsicht gesehen (so z. B. Sterzik, GesR 2021 S. 356).